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Schattennaechte

Schattennaechte

Titel: Schattennaechte
Autoren: Tami Hoag
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hatte.
    Sie drehte sich um und sah ihn an. Ihr Gesichtsausdruck wirkte in dem körnig gefilterten Licht auf dem Parkplatz offen und verletzlich.
    Er hob die Hand und berührte ihre Wange. Sie schüttelte kaum merklich den Kopf.
    »Lass es gut sein«, sagte sie leise.
    Sie glaubte, Härte zeigen zu müssen. Sie hatte Angst, sonst die Fassung zu verlieren. Das alles rührte ihn. Er beugte sich vor und küsste sie sanft auf die Lippen … einfach so.
    Er spürte ihren Atem. Trotz seiner Müdigkeit fühlte er eine leichte Erregung.
    Als er den Kopf hob, sah sie ihn mit einem verschmitzten kleinen Lächeln an und sagte: »Was dieses Hotelzimmer angeht …«
    Die Morgendämmerung tauchte den Osthimmel gerade in ein rosa Licht, als Lauren die Augen aufschlug und sah, dass ihre Tochter sie anstarrte, das süße Gesicht voller Blutergüsse, ein Auge beinahe zugeschwollen, das andere riesig wie das eines kleinen Kindes. Lauren versuchte, ein kleines Lächeln zustande zu bringen, obwohl ihr jeder Muskel im Gesicht wehtat. Sie schob ihre Hand durch das Bettgitter und berührte die Hand ihrer Tochter.
    »Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich habe?«, flüsterte sie.
    Leah nickte, ohne allzu überzeugt auszusehen.
    »Du hast mir das Leben gerettet«, sagte Lauren, und Tränen stiegen ihr in die Augen. »Und du ahnst gar nicht, wie oft. Ich schulde dir so viel, Leah. Du warst so tapfer und stark. So tapfer und stark, wie ich es nie sein werde.«
    »Ich will nicht mehr tapfer sein, Mommy«, erwiderte Leah. »Ich will nur, dass wir wieder eine Familie sind.«
    »Das werden wir«, versprach Lauren. »Das werden wir. Das sind wir.«

64
    Es dauerte noch einige Monate, bis es wirklich vorbei war. So lange brauchten die Ermittler, um die Notizbücher von Roland Ballencoa durchzugehen und die Mädchen und Frauen, die er verfolgt hatte, zu kontaktieren und diejenigen, deren Fotos er in dem kleinen Schuppen hinter seinem Haus in Schachteln aufbewahrt hatte, zu identifizieren und zu finden. Fotos von ahnungslosen potenziellen Opfern und von tatsächlichen Opfern.
    Außer den Fotografien hatten sie kistenweise Frauenunterwäsche gefunden – alles fein säuberlich nach Datum sortiert und mit dem Namen der jeweiligen Frau, ihrer Adresse und der Seitenzahl, unter der man sie in den Notizbüchern fand, versehen.
    Ballencoa hatte sich auch selbst fotografiert, angetan mit den Wäschestücken seiner Opfer.
    Viele der Frauen, die sie ausfindig machten, hatten nicht gemerkt, dass Ballencoa ein Auge auf sie geworfen hatte. Manche hatten ihn gekannt und ihn nett gefunden. Andere reagierten erleichtert auf die Nachricht seines Todes.
    Sieben Frauen konnte man nicht ausfindig machen.
    Sieben junge Frauen, die in seinen Notizbüchern aufgeführt waren. Sieben junge Frauen aus Westkalifornien, die Roland Ballencoa fotografiert hatte, blieben verschwunden, und man hörte und sah nie mehr etwas von ihnen. Der Name Ballencoa war in sechs der Fälle nie aufgetaucht.
    Mendez und Tanner leiteten die gemeinsame Task Force der beiden Behörden und richteten eine Dokumentationsstelle für die Fälle ein. Ihre Arbeit fand landesweit Beachtung und diente als Modell für zukünftige behördenübergreifende Ermittlungen in den gesamten USA .
    Ich konzentrierte mich in dieser Zeit darauf, meine Wunden heilen zu lassen und Leah beizustehen. Körperlich zu heilen, das war der einfache Teil. Das dauerte bei uns beiden nur wenige Wochen. Was das andere angeht, helfen wir einander. Ich habe eine wunderbare Tochter, eine Tochter, die bei mir ist, die lebt. Jetzt kann ich mich darum kümmern, diesem kostbaren Kind, das mir geblieben ist, eine Mutter zu sein, während ich von dem Kind, das ich verloren habe, Abschied nehme.
    Unter den Fotos der Opfer wurden auch einige von Leslie gefunden. Ich habe sie mir nicht angesehen. Eine Stimme in mir sagte, dass ich sie mir ansehen sollte, dass ich als ihre Mutter sehen sollte, was sie durchgemacht hatte, dass ich so leiden sollte, wie Leslie gelitten hatte. Aber zu welchem Zweck? Wir haben alle genug durchgemacht. Nichts würde Leslie zurückbringen. Ich entschied mich dafür, Leslie so im Gedächtnis zu behalten, wie ich sie kannte – ein schönes, lebhaftes Mädchen, das man einfach gernhaben musste, ein Geschenk.
    Im Leben geht es darum, welche Entscheidungen man trifft, ob man sich für das Gute oder für das Böse entscheidet, und es geht um die Folgen dieser Entscheidungen. Roland Ballencoa und Greg Hewitt hatten sich für
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