Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattennaechte

Schattennaechte

Titel: Schattennaechte
Autoren: Tami Hoag
Vom Netzwerk:
höchstpersönlich einen Pakt eingegangen.
    Und das hatte sie ja auch getan, wie sich zeigte.
    Wenn sie Greg Hewitts Leiche in die Hände bekäme, würde sie ihn noch einmal töten dafür, dass er Leah geschlagen hatte. Aber im tiefsten Inneren war sie überzeugt davon, dass alles ihr Fehler war. Ihren verzweifelten Rachefeldzug für Leslie hatte Leah teuer bezahlen müssen.
    »Ich will Ihnen etwas erzählen, Lauren«, sagte Tanner. Sie hielt einen Moment lang inne und sah aus dem Augenwinkel zu Mendez, so als wägte sie ab, ob auch er hören sollte, was sie sagen wollte. Seufzend holte sie Luft, dann begann sie ihre Geschichte.
    »Als ich vierzehn Jahre alt war, ging ich mit meiner besten Freundin Molly Nash von der Schule nach Hause. Molly war ein sehr hübsches Mädchen. Ein richtiges Püppchen. Und ich war … ich. Ein Feger. An dem Tag beschloss ich, einen anderen Weg nach Haus zu gehen. Ich wollte eine Abkürzung nehmen, die uns durch ein paar etwas heruntergekommene Straßen führte. Molly wollte den normalen Weg gehen, aber ich zog sie so lange auf, bis sie nachgab.
    Wir gingen also los und plauderten über Jungs. Wir waren beide in denselben Jungen verknallt, der bis dato nicht einmal mitgekriegt hatte, dass es uns gab«, sagte sie und lächelte bei der Erinnerung. Dann verschwand das Lächeln. »Na ja, und dann … dann zogen uns diese beiden Typen von der Straße und … und sie vergewaltigten uns. Ich schaffte es zu fliehen und lief los, um Hilfe zu holen. Aber als ich mit der Polizei zurückkam, waren die beiden Männer verschwunden und Molly … Sie überlebte es nicht. Sie starb. Und … na ja … sie haben die beiden Männer nie erwischt. Sie kamen davon, und ich muss damit leben. Ich war diejenige, die unbedingt diesen Weg gehen wollte. Wenn überhaupt jemand hätte sterben sollen, dann ich.«
    »Sie waren damals noch so jung«, sagte Lauren. Ein Mädchen im Alter von Wendy Morgan, ein Jahr jünger als Leah.
    »Ich habe die falsche Entscheidung getroffen. Deswegen wurde meine Freundin auf bestialische Weise umgebracht. Ich musste lernen, damit zu leben«, erwiderte Tanner. »Deshalb bin ich Cop geworden. Auf diese Weise trage ich meine Schuld Molly Nash gegenüber ein wenig ab.
    Ich weiß, dass man Ihnen gesagt hat, Sie müssten über den Verlust Ihrer Tochter Leslie hinwegkommen und nach vorn schauen«, fuhr sie fort. »Bestimmt haben die Leute Ihnen auch gesagt, dass dieser Verlust nicht Ihr ganzes Leben prägen darf. Das ist kompletter Blödsinn. Über so was kommt man nie hinweg. Diese Tragödie prägt Sie für Ihr ganzes Leben. Das muss sie auch, sonst wäre sie völlig umsonst gewesen. Und das wäre erst recht tragisch, oder?
    Es geht darum, was wir aus einer solchen Tragödie lernen, und darum, was wir tun, um aus dieser Hölle wieder herauszukommen«, sagte sie. »Darum geht es für Sie und für die Tochter, die Ihnen geblieben ist. Buße kann jeder tun, Lauren. Das ist nicht schwer. Jeder kann zum Opfer werden, und jeder kann sich selbst geißeln. Geschenkt. Aber wenn man einen Fuß auf die Leiter stellt und versucht, die nächste Sprosse zu erreichen, dann hat man etwas getan. Dann hat man etwas vollbracht. Und dann erhält das, was geschehen ist, einen Sinn. Sonst hat es keine Bedeutung, so wie die Nachrichten vom letzten Jahr, die niemanden interessieren.«
    »So«, sagte sie mit einem verlegenen kleinen Lächeln, als sie sich von ihrem Stuhl erhob und das Heft in die Brusttasche ihres weiten Blazers steckte, »genug gepredigt. Wir sollten Sie jetzt endlich schlafen lassen. Und ich muss mir schleunigst ein Hotelzimmer suchen.«
    Lauren streckte die Hand aus. »Danke«, sagte sie und sah Danni Tanner vielleicht das erste Mal, seit sie sie kannte, richtig an. »Ich danke Ihnen.«
    Tanner, der die Situation ein bisschen peinlich war, zuckte mit den Schultern und trat einen Schritt zurück. »Schlafen Sie jetzt.«

63
    Mendez folgte Tanner aus dem Krankenhauszimmer. Schweigend gingen sie den schwach erleuchteten Korridor entlang, dann nahmen sie den Aufzug zum Erdgeschoss. Tanner, die sich im Mercy General nicht auskannte, war sich unsicher, aus welcher Richtung sie gekommen waren.
    Mendez legte die Hand auf ihren Rücken und führte sie zur Notaufnahme. Durch die große Automatiktür traten sie in die kühle, feuchte Nachtluft. Gedankenverloren steuerte Tanner die Beifahrerseite des Autos auf dem Kurzzeitparkplatz an.
    »Danni«, sagte Mendez, der endlich seine Sprache wiedergefunden
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher