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Schattenmenagerie

Schattenmenagerie

Titel: Schattenmenagerie
Autoren: Dieter Buehrig
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wie Sie wollen«, konterte
Kroll. Er beugte sich vor und zog aus dem Pappkarton, der in der Mitte des Kreises
lag, eine kleine durchsichtige Box, die er hoch hielt, damit sie jeder sehen konnte.
»Ich weiß nicht, ob Sie wissen, was das ist. – Es sieht nach einer Serviette aus.
– Aber was es damit auf sich hat, wird Ihnen Viviana, unsere blinde Pianistin, erklären
können.«
    Ein Ruck ging
durch die junge Frau. Obwohl sie nicht sehen konnte, was Kroll da vorzeigte, spürte
sie sofort, worum es sich handelte. In schlichtem, leisen Ton sagte sie: »Es ist
das Taschentuch, mit dem ich mir meine letzten Tränen getrocknet hatte, als meine
Mutter in ihr Grabe gebettet wurde.«
    Diabelli zuckte
verächtlich mit dem Mundwinkel. »Was soll’s! – Spinnereien einer Behinderten.«
    Als hätte Kroll
dieser Begriff erst recht in Rage gebracht, ereiferte er sich: »Wir werden noch
sehen, ob es nur eine Spinnerei ist.« Dann holte er ein zweites kleines Gefäß aus
dem Karton und hielt es in den Schein einer Kerze. Der Inhalt schillerte rotviolett.
Als sei er voller Leben.
    »Das hier haben wir in Ihrem Keller
sichergestellt. Ich ließ den Inhalt in unserm Labor untersuchen. Es handelt sich
um eine gefährliche, ja unter Umständen sogar tödliche Bakterienkultur, die auf
unserem Kontinent nur außerordentlich selten vorkommt und nur unter strengsten staatlichen
Kontrollen gezüchtet werden darf.«
    Als ekele er sich vor der Substanz,
packte Kroll den luftdicht verschlossenen Behälter zusammen mit der Box, die das
Taschentuch barg, wieder zurück in den Karton und schloss ihn mit einer Geste, die
seiner inneren Entscheidung Ausdruck verleihen sollte.
    »Herr Diabelli! Sie stehen unter
dem schwerwiegenden Verdacht, unzählige Menschen aus rein religiös-fanatischen Gründen
getötet und viele weitere Menschen zu Mord angestiftet zu haben. Konkret kann ich
Ihnen nachweisen, dass Sie Vivianas Mutter mit einer Überdosis dieser Bakterien
vergiftet haben. – Und, – das wird Sie interessieren, – ich habe eine Obduktion
ihrer sterblichen Überreste angeordnet. Diese äußerst seltene Bakterienart wird
sich sicherlich noch heute nachweisen lassen.
    Aber das ist noch lange nicht alles.
Sie haben Romanowsky den Berufskiller vermittelt und ihm das Indianergift für den
Mord an der Archivarin besorgt. Wir haben eine Probe davon in Ihrem Keller entdeckt.
Sie zeigten ihm auch, wie man Fangeisen so präpariert, dass sie zu einer tödlichen
Falle werden können. Und Sie gaben ihm den Befehl, Caoba zu einem Tötungsdelikt
aus Eifersucht gegen den Jungherzog aufzuhetzen – mittels eines scharfen Hirschfängers.«
    Der Beschuldigte erblasste sichtbar.
War es Wut oder ein unausgesprochenes Geständnis? »Absurd! – Woher wollen Sie das
alles wissen?« Mehr fiel ihm dazu nicht ein. Insgeheim wunderte er sich, wieso der
Polizist über Detailkenntnisse verfügte, die ihm normalerweise gar nicht zur Verfügung
hätten stehen können.
    »Nein, im Gegenteil: leider sehr
realistisch«, entgegnete Kroll, auch wenn er genau wusste, dass manche seiner Anschuldigungen
nur auf den Vermutungen einer sensiblen Pianistin basierten. Aber er baute auf den
Überraschungseffekt.
    »Tatsache ist, dass Sie die größenwahnsinnigen
Zielsetzungen des selbst ernannten Zaren in jeder Hinsicht unterstützten. Die passten
gut zu Ihren eigenen Plänen. Sie träumten davon, eines Tages ein neuer Rasputin
in einem großrussischen Reich zu werden. – Das alles liegt klar auf der Hand. –
Nur ein einziges, winziges Glied fehlt noch in meiner Beweiskette: Ihr genetischer
Fingerabdruck. Er wird die Zusammenhänge aller Fakten auf den Punkt bringen.«
    Der Inspektor zog eine kleine Nagelschere
und einen Plastikbeutel aus seiner Tasche. »Wenn Sie denn so nett wären und mir
erlauben, ein Haar von Ihrem Schopf abzuschneiden. Den Staatsanwalt wird das interessieren.«
    Kroll erhob sich bedächtig, um zu
seinem Delinquenten hinüberzugehen.
     
    *
     
    Mit einem raschen und überraschenden Impuls sprang
Diabelli, der bis dahin immer noch starr und bewegungslos auf seinem Stuhl gesessen
hatte, auf und flüchtete mit wenigen Schritten ins Nebenzimmer, den Europasaal,
einen der prunkvollsten Räume im Eutiner Schloss. Das alles ging so schnell, dass
weder Kroll noch Dorndorf ihn hätten hindern können.
    Dort riss
er eine verkleidete, geheime Wandtür auf, gab Dogger, seinem Faktotum, ein Zeichen
und war in Windeseile verschwunden. Die beiden Kriminalisten wollten, nachdem
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