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Schattenmenagerie

Schattenmenagerie

Titel: Schattenmenagerie
Autoren: Dieter Buehrig
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aussah, endete später ›Vom Winde verweht‹.«
    Einige der Zuhörer verdrehten verärgert
ihre Augen. Wieder dieser platte Humor. Polizisten fehlt es eben an gediegener Kultur,
dachten die Adeligen in der Runde.
    »Peter wurde tatsächlich Herrscher
und fast Zar des russischen Reichs. Kurz vor seiner Krönung, nach nur 186 Tagen
Herrschaft, entmachtete ihn seine eigene Ehefrau. Er wurde verhaftet und wenig später
unter ihrer Mitwisserschaft und Duldung ermordet. Sophie ließ sich als Katharina
zur Zarin krönen. Später versuchte sie, in ihren klug lancierten Memoiren ihren
Mann als unwürdig für den Thron darzustellen. Er wäre damals, zur Zeit ihrer ersten
Begegnung – als Elfjähriger! – schon als Alkoholiker bekannt, der die Reste aus
fremden Weingläsern getrunken habe.
    Später behauptete sie, Katharina
die Große – ich zitiere: ›Bei dieser Familienzusammenkunft hörte ich sagen, der
junge Herzog neige zum Trunk, und seine Umgebung hindere ihn nur mit Mühe daran,
sich bei Tisch zu betrinken.‹
    All diese Vorwürfe entbehrten jeglicher
Grundlage. Sie dienten einzig der nachträglichen Legitimation, das russische Reich
vor einem schwachsinnigen Despoten beschützt zu haben. Sophie, alias Katharina,
hatte sich ihren großen Traum erfüllt. Wenige Jahre später löste sie durch den Vertrag
von Zarskoje Selo die Erbfolgebeziehungen zu Peters Heimat, zu Eutin. Sie wurde
Herrscherin eines der mächtigsten Reiche der Welt. Auf Kosten des Lebens ihres Ehegatten.
– Aber das muss man nicht so eng sehen, war es doch eine hervorstechende Familientradition
des Zarengeschlechts, in Sachen Erbfolge nicht besonders zimperlich mit Menschenleben
umzugehen.«
    Krolls Zuhörer begannen, sich zu
langweilen, zumal es aus der erwarteten Sensation über das Bernsteinzimmer nichts
wurde. Der Inspektor musste also schnell zum Knackpunkt seiner Geschichte kommen.
    »Das alles hätte ich Ihnen, verehrte
Anwesenden, nicht erzählt, wenn da nicht ein kleiner Haken gewesen wäre. Bei Peters
Verhaftung befand sich unter seinem Gefolge auch seine damalige Mätresse, die Gräfin
Elisabeth Woronzowa, von der behauptet wurde, sie erwarte ein Kind von ihm. Nach
einem letzten, für Peter offenbar ungünstig ausgefallenen Gespräch unter vier Augen
mit der zukünftigen Regentin kerkerte man ihn in einem abgelegenen Jagdschloss ein
und ermordete ihn kurze Zeit später.
    Was ist aber aus jener Elisabeth
Woronzowa geworden und hatte sie wirklich ein Kind des Zaren zur Welt gebracht?
– Dann wäre es ein legitimer Anwärter auf den russischen Zarenthron gewesen, der
in der Geschichtsforschung bisher noch keine Rolle spielte.«
    Kroll genehmigte sich eine kleine
Pause, um sich mit einem Schluck Sherry zu stärken. Dann gab er Dorndorf einen unauffälligen
Wink. Der griff erneut in seine Aktentasche, zog zwei Bücher zusammen mit einem
blauen und einem roten Aktenordner heraus und legte sie mit einer etwas theatralischen
Geste auf den runden Tisch. Als wolle er dadurch die Beweislast der Dokumente unterstreichen.
    Das reaktivierte die, dank Krolls
trockenem Vortrag, fast auf den Nullpunkt gesunkene Neugier der Gäste. Der Inspektor
spürte das und hoffte im Stillen, jetzt seinen ersten großen Coup landen zu können.
»Hier, im Dachstuhl dieses Schlosses, fanden wir in einer verstaubten Kommode diese
beiden Bücher.« Kroll ergriff sie nacheinander und hielt sie mit wichtigtuerischer
Miene hoch. Die an sich kriminologisch recht unbedeutsamen Schriften sollten so
gegenüber seinen Zuhörern den Anschein erwecken, sie seien wichtige Beweisstücke.
    »Hier die Mitschrift eines Dieners
Peters III. über dessen letzten Tage. – Und hier, der Beweis, dass die besagte Mätresse
tatsächlich schwanger war und wenig später einen unehelichen Sohn des rechtmäßigen
Herrschers von Russland zur Welt brachte.« Der Inspektor nahm dann den blauen Ordner
und blätterte in einigen Unterlagen herum. »Mit Hilfe eines Hamburger Historikers
ist es uns dann gelungen, die Spur dieses Kindes bis auf den heutigen Tag zu verfolgen.
Dabei konnten wir ganz nebenbei den Mord aus dem Jahre 1830 an dem Kammerherr von
Qualen klären. Der war in der Tat ein Nachkomme dieses Zarenkindes und musste seine
illegitime Herkunft mit dem Leben bezahlen, weil er den legitimen Nachkommen der
Katharina im Wege stand. Aber kommen wir zurück auf das Hier und Heute. Der jüngste
Spross dieser außerehelichen Linie der Zarenfamilie lebt unter uns.«
    Jetzt hingen alle gespannt an
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