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Schattenmenagerie

Schattenmenagerie

Titel: Schattenmenagerie
Autoren: Dieter Buehrig
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wundersam erretteter Peter III. ausgaben, hat es in
der Geschichte genug gegeben. Sie erhielten Zulauf im russischen Volk, weil man
glaubte, sie würden als Befreier und Erlöser auftreten und eine neue, gerechte Ordnung
errichten. – Und diese Hoffnungen schwelen auch heute noch in den Köpfen vieler
Russen.
    Zu Romanowsky aber muss man sagen:
der überspannte Plan eines offensichtlich Wahnsinnigen. Er wollte die Eutiner Residenz
mit dem russischen Reich wiedervereinen, so wie es vor dem Vertrag von Zarskoje
Selo der Fall war. – Er wollte zurück zu den dynastischen Wurzeln Peters III., seines
Urahns.
    Und da war ihm sowohl das Geschlecht
derer zu Altenburg als auch der Stiftungsrat im Wege. Graf Stolberg musste sterben,
damit Romanowsky dessen Funktion im Rat übernehmen und nach seinem Gutdünken ungestört
agieren konnte. Außerdem ahnte der Pächter, dass der Graf seine wahre Identität
durchschaut hatte. Das beweist ein Zettel, den ich gleich bei meinem Antrittsbesuch
in seinem Arbeitszimmer fand.
    Dieleitende Archivarin im
Lübecker Stadtarchiv vergiftete er, um zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu
können: Zum einen wusste sie zu viel über seine Herkunft. Zum anderen wollte er
die Tat dem Herzog in die Schuhe schieben, damit der wegen Mordes hinter Gittern
wandern sollte.
    Und der Wilderer fiel einer Verwechslung
zum Opfer. Eigentlich hatte es Romanowsky auf den Herzog abgesehen und die Tat so
hingestellt, dass der Jungherzog verdächtigt würde. So hoffte er, sich mit einem
Schlag gleich beider Altenburgs zu entledigen. Das Fangeisen besorgte er sich aus
dem Schuppen des Revierförsters. So konnte der quasi nebenbei als Mitwisser auch
noch kaltgestellt werden. An die Mordwaffe war er mithilfe einer ihm hörigen Angestellten
auf Gut Altenburg gelangt, deren Name hier keine Rolle spielt. Zum Glück für den
Herzog, jedoch zum Unglück für den armen Vagabunden, ließ sich Romanowsky durch
dessen Prahlerei in der Wirtschaft und durch die Kleidung täuschen.
    Als er später
bemerkte, dass sein Plan nicht aufgegangen war, setzte er ein zweites Mal an. Er
wusste, dass der Jungherzog der Tochter des Revierförsters den Laufpass gegeben
hatte. Einen dementsprechend kompromittierenden Brief fanden wir bei seinen Unterlagen,
allerdings in mehrere Teile zerrissen.«
    Kroll warf die Papierschnitzel auf
den Tisch. Der Jungherzog räusperte sich verlegen. Aber seine Verlobte legte ihm
beschwichtigend ihre Hand auf die seinige.
    »Hier, das ist der Brief. Etwas
ramponiert. – Aber er enthält eine bemerkenswerte Notiz: ›Hirschfänger benutzen‹.«
Der Redner wandte sich an den Jungherzog. »Ein Schriftvergleich bescheinigt, dass
nicht Sie, sondern Romanowsky der Verfasser war. – Und was sollte der Hinweis? –
Wir nehmen an, dass Romanowsky Caoba erpressen wollte, den Jungherzog mit Hilfe
eines Dolches zu töten. – Totschlag aus Eifersucht, – ein beliebtes Motiv. Aber
offenbar kam es nicht dazu. Den Hirschfänger konnten wir bislang nicht sicherstellen.
Aber eines Tages finden wir ihn, und ich bin sicher, dass er die Fingerabdrücke
Romanowskys trägt.«
    Kroll nahm alle ›Beweisstücke‹ zusammen
und stapelte sie penibel zu einer Pyramide. »Wir können Ihnen also mitteilen, dass
der Fall Stolberg et alii. gelöst ist. Eine Ringalarmfahndung und ein Haftbefehl
sind bereits rausgegangen.«
    In den Gesichtern der Anwesenden
spiegelte sich eine Mischung aus Erleichterung und Bestürzung. Einerseits war man
froh, endlich ungeschoren aus diesem Verhör herausgekommen zu sein. Andererseits
konnten es viele nicht begreifen, dass sich Romanowsky als Verbrecher entpuppte.
    »Dann ist
ja wohl Ihre Show zu Ende, und wir können endlich wieder zur Tagesordnung übergehen«,
ließ sich Diabelli in seinem charakteristischen scharfen Ton vernehmen. Er griff
sein Digestivglas, das er die ganze Zeit über nicht ein einziges Mal angefasst hatte,
und leerte es in einem Zug. Auch die anderen begannen, Aufbruchstimmung zu erzeugen.
    »Ich kann Sie nicht daran hindern,
meine Ermittlungsarbeit als Show zu bezeichnen, Herr Diabelli«, entgegnete der Inspektor.
»Aber ich muss Ihrer aller Geduld leider noch ein wenig strapazieren.« Man starrte
ihn ungläubig und verärgert an. Fand diese Tortur denn überhaupt kein Ende mehr?
    Kroll schob
sein Gedeck beiseite und begann, die vor ihm liegende Pyramide betont langsam und
mit einer geheimnisvollen, theatralischen Miene wieder abzubauen und die Materialien
auf einem sorgfältig
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