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Schattenjagd

Schattenjagd

Titel: Schattenjagd
Autoren: Ernst Vlcek
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ist, dass viele Menschen an einem Ort zur gleichen Zeit sterben.«
    No-Ango machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr: »Normalerweise entstehen solche Schattenwesen nur im Bereich der Schattenzone, etwa in der Düsterzone, weil dort die magischen Kräfte am wirksamsten sind. Aber unter besonderen Bedingungen können sich die Deddeth überall auf der Welt bilden. Das hängt von den magischen Kräften ab, die eingesetzt werden.«
    »Wie etwa während der Schlacht im Hochmoor von Dhuannin«, bestätigte Mythor. »Dort haben die Dämonenpriester der Caer all ihre Magie ausgespielt. Sie haben Runengabel-Scheuchen aufgestellt, die die Krieger der Lichtwelt bekämpften. Sie weckten die Moortoten und haben sie in die Schlacht geworfen. Und sie haben über Tausende den Spiegeltod gebracht… Die Seelen all derer, die im Zeichen der Schwarzen Magie gestorben sind, werden sich zu einem Dhuannin-Deddeth vereinigt haben.«
    »So muss es gewesen sein«, bestätigte No-Ango. »Aber glaube nicht, dass alle Deddeth Werkzeuge des Bösen sein müssen. Auch mittels der Weißen Magie lassen sich solche Wesen erschaffen, die den Menschen durchaus wohlgesinnt sein können. Der Dhuannin-Deddeth gehört jedoch ganz gewiss nicht zu dieser Gruppe. Und wenn du dich fragst, warum er ausgerechnet dich jagt, kann ich dir eine mögliche Antwort nennen: weil du den Dunkelmächten gefährlich werden könntest.«
    »Vielleicht ist es so«, meinte Mythor nachdenklich und nickte bekräftigend. »Es wird schon so sein. Aber welche Chance habe ich ohne meine Ausrüstung gegen den Dhuannin-Deddeth?«
    »Es gibt auch Waffen des Geistes«, antwortete No-Ango. »Du hast nun deinen Feind erkannt, kennst seinen Ursprung und sein Bestreben. Das ist schon viel wert. Zu deiner Verteidigung solltest du nun dein Gesicht spalten. Es gibt keine bessere Abwehr gegen einen Dämon. Ra-Mina wird dir dabei behilflich sein. Wenn dies getan ist, werde ich dich zu unserem Ältesten führen.«
    No-Ango erhob sich und wollte gehen. Aber Mythor hielt ihn am Arm zurück. »Ist es wirklich unabänderlich, dass euer ganzes Volk in den Freitod geht?« fragte er.
    »Es ist eine beschlossene Sache«, antwortete der junge Rafher. »Hu-Gona wird es dir erklären.«
    No-Ango ging. Gleich darauf erschien Ra-Mina mit einer Palette aus mehr als einem Dutzend Farbtiegeln und einem ovalen metallenen Spiegel.
    Sie stellte den Spiegel vor ihn hin und überreichte ihm die Farben. »Soll ich dich allein lassen?« bot sie ihm an.
    »Ich fürchte, ich werde es ohne deine Hilfe nicht schaffen«, antwortete Mythor.
    Sie erwiderte sein Lächeln. Es war freundlich und warm, und Mythor konnte sich nicht vorstellen, dass ein Mensch, der bald freiwillig aus dem Leben scheiden würde, so lächeln konnte. Das verstand er nicht, es verwirrte ihn.
    Er ließ es mit sich geschehen, dass sie ihm aus dem Wams half und dann hinter ihm niederkniete und ihm über die Schulter blickte. Dabei kreuzten sich ihre Blicke im Spiegel. Auf einmal verdüsterte sich Ra-Minas Gesicht. Ihre Augen wanderten im Spiegel hinunter, bis sie auf das Spiegelbild seiner Brust fielen.
    »Du hast ein gespaltenes Herz!« rief sie aus, sprang auf und rannte davon.
    Mythor wusste sofort, was sie damit meinte. Im Spiegel sah er auf seiner Brust Fronjas Bildnis. Sie lächelte sanft, das weizenblonde Haar umspielte ihr Gesicht, verschleierte ihre Augen, die ihn aus geheimnisvollen Tiefen anblickten.
    Fronja…
    Geräusche schreckten ihn aus seiner Betrachtung. Er blickte hoch und sah No-Ango über sich. Er war etwas außer sich und funkelte Mythor an.
    »Warum hast du mir nicht gesagt, dass du eine Herzspaltung hast?« sagte er vorwurfsvoll. »Unter diesen Umständen können wir auf die Spaltung deines Gesichtes verzichten. Willst du mir nun zu Hu-Gona folgen?«
    *
    Als Mythor ins Freie trat, musste er für einen Moment geblendet die Augen schließen, bis er sich an das grelle Tageslicht gewöhnt hatte.
    Ihm bot sich ein phantastischer, einmaliger Anblick. Lo-Nunga lag am Ende eines langgestreckten, grünenden Tales, das von schroffen, fast senkrechten Felswänden umgeben war. Die Felsen am Ende des Tales waren am steilsten, fast überhängend und bestimmt zweihundert Mannslängen hoch. Hier bildeten sie einen Halbkreis, und an ihrem Fuß stand die Verbotene Stadt. Die Gebäude rankten sich wie Kletterpflanzen die Felswände bis in schwindelnde Höhen hoch. Manche von ihnen klebten wie Schwalbennester an den unzugänglichsten Stellen der
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