Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenjagd

Schattenjagd

Titel: Schattenjagd
Autoren: Ernst Vlcek
Vom Netzwerk:
Atem ging rasselnd, in seinen Beinen war kaum mehr Kraft. Er blickte zur Sonne hoch und fragte sich, wann sie endlich von der Schattenzone verschluckt wurde. Sie brannte ihn aus. Die Sonne, die Lebensspenderin, würde ihn noch töten. Wenn ihr nicht der Deddeth zuvorkam.
    Mythor zuckte bei jedem Geräusch erschrocken zusammen, nur um dann festzustellen, dass er es selbst verursacht hatte. Er ging über einen schmalen Grat entlang einer Schlucht und versuchte krampfhaft, das Gleichgewicht zu halten. Einige Male rutschte er ab und sah den Steinen zu, wie sie in die Tiefe fielen. Die Geräusche, wenn sie auf Fels prallten und zersplitterten, hallten laut zu ihm herauf, und ihr Echo brach sich vielfach an den steilen Felswänden.
    Es gab aber auch andere Geräusche. Einmal erschreckte ihn eine Schlange, die zischend von einem Felsbrocken glitt, auf den er seinen Fuß setzte.
    Zwischendurch vernahm er das heisere Krächzen von Orhaken. Dieses Geräusch war ihm bekannt, er würde es nie vergessen. Irgendwann fand er sich am Grund einer Schlucht wieder. Er stolperte durch ein ausgetrocknetes Flussbett, und das erinnerte an den Vorfall im Wadi En-Ogh. Wenn es jetzt zu regnen begann, würde auch er von einer Sturzflut hinweggeschwemmt werden. Aber es wäre ihm lieber, zu ertrinken, als zu verdursten.
    Die Schatten wurden länger, und dann wurde die Sonne von der Dunkelzone verschluckt. Ein langer, beschwerlicher Tag ging zu Ende. Die Nacht kam. Die Nacht mit all ihrer Finsternis!
    »Wo bist du, Deddeth?« schrie Mythor und lauschte seinem Echo. »Ich bin hier! Stelle dich zum Kampf!«
    Er blickte die düstere Schlucht hoch, und da erfasste ihn ein Schwindel, und er stürzte.
    Eine Weile blieb er liegen, raffte sich dann aber auf und stolperte weiter.
    »No-Ango!« Das Echo verspottete ihn.
    »Ich kann dir nicht böse sein, No-Ango«, murmelte er vor sich hin. »Du konntest mich nicht mit in die Verbotene Stadt nehmen, um nicht dein Volk zu gefährden.«
    Der Deddeth war unersättlich. Warum hatte er es ausgerechnet auf ihn abgesehen? Welche Verbindung bestand zwischen ihnen? War sie damals – vor wie vielen Monden eigentlich? – im Hochmoor von Dhuannin entstanden? Aber warum hatte sich der Schatten unter den vielen tausend Kriegern ausgerechnet ihn ausgesucht? Weil er sich für den Sohn des Kometen hielt?
    Logghard, die Ewige Stadt, der siebte Fixpunkt des Lichtboten – er würde ihn nie erreichen.
    Fronja… Er griff sich ans Herz, in das das Bildnis der Tochter des Kometen gleichsam eingebrannt war. Er würde sie nie wirklich sehen, ihr nie in Fleisch und Blut gegenüberstehen.
    Aber er hätte schon viel gegeben, wenigstens noch einmal ihr Bildnis schauen zu können, das er unsichtbar auf seiner Brust trug und das nur in der Welt der Spiegel zu sehen war. Seine Fingernägel gruben sich tief in seine Brust, bis er vor Schmerz aufschrie.
    Ein Licht. Es wurde heller. Schon wieder Tag. Und schon wieder schleuderte die angebliche Lebensspenderin sengende Blitze gegen ihn.
    Er konnte nicht mehr gehen, er schwebte, ließ sich dahin-treiben. Er war leicht und übergab sich dem Wind und den Wellen der Strudelsee und ließ sich vom Salz und den Strahlen der Sonne versengen.
    Es brannte!
    Und er war so weit, dass er sagte: »Deddeth, komm und erlöse mich!«
    Und der Deddeth hob ihn hoch und trug ihn fort, an einen Platz, wo es schattig und kühl war. Und dann beugte sich der Deddeth über ihn und sagte: »Ich durfte dir diese Prüfung nicht ersparen. Ich war stets in deiner Nähe und habe darauf gewartet, ob der Schatten sich zeigt. Erst als ich sicher war, dass er dir nicht folgte, konnte ich dich in die Verbotene Stadt bringen.«
    Der Deddeth hatte ein gespaltenes Gesicht. Die linke Hälfte war rot, geschmückt mit hellen Zeichen in Weiß und Gelb. Eine dicke weiße Trennlinie zog sich über Kinn, Nase, Stirn und die Kahlstelle des Schädels bis in den Nacken.
    Der Deddeth war gar nicht der Deddeth. Der Deddeth war No-Ango.
    »Jetzt bist du in Lo-Nunga«, sagte No-Ango. »Aber ich bin zu spät gekommen. Hu-Gona hat entschieden, dass mein Volk den Endgültigen Weg geht.«
    *
    Deddeth
    Was für ein schwächlicher, unnützer Körper. Ohne Mark, ohne Saft und mit nur wenig von jener Kraft, von der er sich ernährte. Steinmann Sadagar hatte versagt. Der Deddeth war nahe daran, ihn auszusaugen und seine nutzlose Hülle wegzuwerfen.
    Sadagar konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten und kollerte einen Hang hinunter. Als er sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher