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Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus
Autoren: Alex Reichenbach
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auf der Plattform im Innenhof landete. «Sagt mal», brüllte Winter über das Rotorengeräusch hinweg, «wo in der Akte Vogel steht denn was über die Prostituiertenvergangenheit der Kelkheimer Großmutter?»
    Die beiden Altgedienten zeigten sich ahnungslos. «Da musst du unser Tennis-Ass fragen», befand Ziering. «Der hat das rausgefunden.»
    Das «Tennis-Ass» war Sven Kettler, der sich regelmäßig wegen irgendwelcher Tennisverpflichtungen das Recht herausnahm, früher zu gehen. In kindlichem Enthusiasmus berichtete er dann am nächsten Tag von seinen Heldentaten auf dem Platz, ohne zu merken, dass er die Kollegen damit nervte.
    Zwei Büros weiter blickte Kettler hinter seiner Woody-Allen-Brille eine winzige Spur schuldbewusst drein, als Winter ihn nach einem Akteneintrag zu Renate Vogels beruflicher Vergangenheit fragte.
    «Kann sein, dass ich das nicht notiert hatte», sagte Kettler schließlich, die Hände hinterm Kopf verschränkt. «Ich hatte die Olle halt irgendwann im System nachgeguckt und gesehen, dass sie in den siebziger und achtziger Jahren ein paarmal bei Razzien im Bahnhofsviertel aufgegriffen wurde.»
    Winter seufzte. «Sven, wirklich. Wir hatten das doch schon mehrfach. Alle Ermittlungsergebnisse gehören schriftlich festgehalten, wirklich alle. Das geht so nicht. Ich wusste jetzt gar nichts davon.»
    «Sorry. Du warst halt nicht dabei, als ich das den anderen erzählt habe.»
    «Nein, aber bei anständiger Aktenführung darf das kein Problem sein. Wie soll sich denn die Staatsanwaltschaft informieren oder später der Richter, wenn die Hälfte nicht in der Akte steht?»
    «Okay, okay, hab’s kapiert. War bloß ein Versehen.»
    Winter seufzte. Es fiel einem schwer, Kettler richtig böse zu sein. Aber es war anstrengend, mit ihm zu arbeiten. Was wahrscheinlich auch der Grund war, warum er alle paar Jahre von einer Abteilung des Präsidiums zur nächsten weitergereicht wurde. Nun hatte er ihn am Hals.
    Winter sah auf die Uhr. Es blieben nur fünf Minuten bis zur Besprechung. Zu wenig Zeit, um sich anständig vorzubereiten.
    Im Büro waren nach wie vor alle Wände mit Standaufnahmen des Tatorts und vor allem der Leichen gepflastert – in maximaler Vergrößerung. Winters Gepflogenheiten entsprach das nicht. Um die fünf Minuten Leerlauf zu nutzen, begann er, die Fotos abzunehmen.
    «Hey, was machst du da?», beschwerte sich Kettler.
    «Ich lege die Bilder in die Akte.»
    «Warum denn?», fragte Kettler maulend.
    Winter musterte seinen Kollegen. Kettler war wirklich wie ein Kind.
    «Weil sie in die Akte gehören, und weil ich mir nicht die ganze Zeit Leichen ansehen möchte.»
    «Hey, hey, hey, stell dich nicht so an», erwiderte Kettler mit einem Lachen. «Ein bisschen professionelle Distanz sollte man in unserem Job schon haben.»
    «Ein bisschen Respekt vor den Toten auch», entgegnete Winter.
    «Wieso, die Fotos helfen doch bei der Aufklärung. Das dürfte ja wohl im Sinne der Toten sein.»
    «Dazu müssen die Fotos aber nicht hier hängen. Im Gegenteil, wenn man die Bilder die ganze Zeit im Hintergrund sieht, nimmt man sie nicht mehr richtig wahr, glaube ich. Hier, schau mal …»
    Winter hielt Kettler ein Foto vors Gesicht, das aus dem Eingangsbereich des größten Schuppens aufgenommen worden war. «Fällt dir da was auf?», fragte er.
    «Nö. Nur dass die echt mal Sperrmüll machen sollten.»
    «Hier, dieses blaue Ding an der Wand.»
    «Ach so. Ist das die Tür, wegen der du vorhin angerufen hast?»
    «Richtig. Die hattest du die ganze Zeit vor Augen, inklusive Schusslöchern. Ist dir trotzdem nicht aufgefallen.»
    «Das ist auch nicht mein Job. Das hat die SpuSi verbaselt.»
    «Sollte ja kein Vorwurf sein, ich meinte nur, es bringt nichts, die Bilder an der Wand zu haben statt in der Akte.» Er sah auf die Uhr. «So, es ist so weit, auf zur Besprechung.»
    Kettler zuckte mit den Schultern. «Wenn du meinst. Du bist der Chef.»
    ***
    Erster Kriminalhauptkommissar Fock hatte so ziemlich jeden zusammengetrommelt, der direkt oder indirekt mit dem Fall befasst gewesen war. An die vierzig Leute saßen im Raum. Unwillkürlich sah Winter sich um, ob Hilal Aksoy vom Kriminaldauerdienst auch da war, doch sie fehlte. Absichtlich? Nach einer Eskapade seinerseits auf der Weihnachtsfeier drohte ein Wiedersehen peinlich zu werden. Feiern im Präsidium waren wohl irgendwie ihr Fluch: Auf dem Sommerfest im letzten August schon waren Winter und Aksoy in einer alkoholisierten Diskussion zusammengerasselt,
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