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Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus
Autoren: Alex Reichenbach
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Version ihrer Tochter, die den frechen Charme des kleinen Mädchens nicht besaß. Zumal sie gerade sehr verärgert war. «Du weißt doch genau, dass du ab drei Uhr im Haus auf mich warten sollst!», keifte sie ihre Tochter an. «Ich bin seit fünf auf den Beinen und hab seit acht nichts gegessen, und jetzt muss ich dir schon wieder hinterherrennen!»
    «Frau Höfling?», fragte Winter.
    «Ja, und wer sind Sie? Wie kommen Sie dazu, ohne mich zu fragen meine Tochter –»
    «Winter, Kriminalpolizei. Es tut mir leid, wenn ich Ihre Tochter aufgehalten habe. Wir ermitteln hier im Mordfall Vogel. Sie haben davon gehört?»
    «Ja, sicher. Furchtbar, die Sach. Meine Eltern wohnen da drüben und schlafen seitdem keine Nacht mehr.»
    «Kannten Sie die Vogels persönlich?»
    «Den Thomas, ja, von früher, aber wir hatten nichts weiter miteinander zu tun. Er ist ja fünf Jahre älter wie ich. Pardon, war. Seit ich nicht mehr hier wohn, hab ich ihn nicht mehr gesehen. Bloß die Frau, weil ich öfter hier ins Haus kommen musste und die Julia holen, obwohl sie genau weiß, dass sie ab Punkt drei bei meiner Mutter bereitstehen soll. Wenigstens hat das jetzt ein Ende.»
    «Was hatten Sie für einen Eindruck von Sabrina Vogel?»
    «Komische Person. Ein bisschen asozial.»
    «Inwiefern?»
    «Zum Beispiel, als ich das letzte Mal die Julia geholt hab, da war ein Chaos und ein Dreck in der Küche …»
    «Quatsch!», unterbrach Julia protestierend ihre Mutter. «Wir haben Plätzchen gebacken!»
    «Ja, die Kinder hat sie alleine Plätzchen backen lassen, und sie saß daneben im Schaukelstuhl und hat gestrickt, auf dem Tisch stand noch das dreckige Geschirr vom Mittagessen, und mittendrin die Katz. Da können Sie sich ungefähr vorstellen, wie es in der Küche aussah. Ich hab die auch nie anders als schlampig angezogen gesehen. Immer bloß Schlabberpullover oder schlabbrige T-Shirts. Und es stank auch so im Haus. Von ihren Kindern hat sie sich Sabrina nennen lassen. Als wär sie die Freundin, nicht die Mutter.»
    Winter konnte sich gut vorstellen, warum Julia sich von der Atmosphäre im Vogel’schen Haus angezogen gefühlt hatte. Das Ganze hörte sich ein bisschen nach Villa Kunterbunt an, mit Sabrina Vogel als Pippi Langstrumpf.
    «Ihre Tochter erzählte mir vorhin, dass öfter ein Mann mit einem Laster vorbeikam und zu Frau Vogel wollte. Wissen Sie darüber etwas?»
    «Ein Mann mit einem Laster? Nein. Wer weiß, ob das nicht wieder so eine Geschichte ist. Die Merle Vogel hat ein bisschen viel Phantasie. Die hat der Julia immer Sachen erzählt … diese ganzen Computerspiele, da wissen doch Kinder bald gar nicht mehr, was Wahrheit ist und was erfunden. Die Kinder durften ja bei der Frau Vogel stundenlang alleine am Computer sitzen. Die hat gar keine Grenzen gesetzt.»
    «Mama!», protestierte Julia. «So ein Quatsch! Der Mann mit dem Laster ist wirklich, ich schwöre!» Dabei sah sie Winter an, als wolle sie sagen: Da sehen Sie mal, wie doof meine Mutter ist.
    «Kennst du Herrn Vogel eigentlich auch?», fragte Winter das Mädchen.
    «Ja», sagte sie. «Aber zum Glück war der meistens weg. Der ist nämlich doof. Sagt auch die Merle.»
    «Julia!», tadelte die Mutter und griff ihre Tochter am Arm. «So redet man nicht über Erwachsene! Schon gar nicht, wenn sie tot sind.» Sie sah Winter entschuldigend an.
    Der beendete jetzt das Gespräch, gab Frau Höfling seine Karte und bat darum, angerufen zu werden, falls ihr oder der Tochter noch etwas einfalle. Wie etwa der richtige Name des mysteriösen Lasterfahrers.
    ***
    Im düsteren Flur des Vogel’schen Hauses roch es tatsächlich streng. Ein muffiger Geruch von feuchtem Keller mischte sich mit den Düften von Abertausenden Brat- und Kochvorgängen in einer Küche ohne Dunstabzug und war im Laufe des vergangenen Jahrhunderts tief in den Putz der Wände und der alten Möbel gedrungen. Winter kannte das Geruchsensemble; er hatte als Kind gelegentlich eine Großtante auf einem einsamen Gehöft besuchen müssen, und da hatte es ganz ähnlich geduftet. Beim Schritt über die Schwelle der Küchentür stolperte er beinahe über eine tote Maus.
    Die Küche war fünfundzwanzig Quadratmeter groß. Es gab alte Öfen und eine antike Spüle vor einer geschmackvoll neu gefliesten Wand, eine neue, massivhölzerne Arbeitsplatte, einen großen, alten Holztisch, einen Schaukelstuhl, ein abgewetztes altes Sofa und eine Terrassentür mit Glaseinsatz und Katzenklappe. Auf dem neuen Terrakotta-Fliesenboden
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