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Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus
Autoren: Alex Reichenbach
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Inspiration ereilt. Vielleicht sprechen ja die Toten zu ihm.»
    «Aha. Also … egal. Winter soll sich sofort bei mir melden, wenn er wieder da ist.»
    ***
    Als Winter auf dem Hof des Vogel’schen Hauses einfuhr, kam hinter ausgedünntem Hochnebel die Sonne hervor. Das Haus war aus den 1920 er Jahren, eigentlich ganz hübsch, nur von außen sehr heruntergekommen. In den siebziger Jahren hatte jemand schwarz gerahmte Alu-Doppelglasfenster eingesetzt. Winter brach gerade das Siegel an der Haustür, da hörte er trippelnde Schritte. Er wandte sich um. Ein stupsnasiges, braunhaariges, braunäugiges kleines Mädchen von sieben oder acht lief über den Hof auf ihn zu. «Hallo», sagte die Kleine mit ihrer hellen Kinderstimme. «Hallo», sagte Winter.
    «Wo ist denn die Merle?», fragte das Mädchen.
    «Du meinst bestimmt die Tochter von den Vogels?», fragte er zurück.
    Das Mädchen nickte heftig und zog die Nase hoch. Sie trug einen rosa Anorak mit einer silberfarbenen Feenapplikation.
    «Die Merle ist nicht mehr hier», antwortete Winter, dem gerade erst aufging, dass er keine Ahnung hatte, was nach dem Tod der Eltern mit den Kindern geschehen war. Ein Satz der Großmutter Vogel aus Kelkheim fiel ihm ein: «Das Amt soll bloß net denken, dass ich jetzt die Bälger nehm.»
    «Wo ist die Merle denn?», fragte das Mädchen.
    «Das weiß ich leider nicht. Ich bin Polizist. Bist du eine Freundin von der Merle?»
    «Ja. Meine Oma wohnt da drüben.» Sie zeigte auf das nächststehende Haus, das in einiger Entfernung lag.
    «Warst du öfter hier bei den Vogels?», fragte Winter.
    Sie nickte. «Nur, jetzt darf ich nicht mehr so oft, weil, ich muss erst Hausaufgaben machen. Und um halb vier kommt schon meine Mutter und holt mich ab.»
    Aha, das Mädchen verbrachte also die Zeit nach der Schule bei seiner Oma, der Nachbarin von Vogels.
    «Weißt du, dass hier etwas Schlimmes passiert ist?», fragte Winter.
    «Ja. Da hat jemand die Sabrina und den Herrn Vogel totgeschossen.»
    Die Sabrina.
Das Mädchen schien gut mit der Familie bekannt gewesen zu sein. Wahrscheinlich wusste sie mehr als die meisten anderen Zeugen, die sie bis jetzt befragt hatten.
    «Ja, das stimmt. Wie heißt du denn?»
    «Julia.»
    «Und weiter?»
    «Julia Marysa Höfling.»
    Das Mädchen zog wieder die Nase hoch und trat von einem Bein aufs andere. Hier im Schatten des Hauses zog es unangenehm. Winter kam es einen Augenblick absurderweise so vor, als sei es das Haus selbst, von dem der Schatten und die Kälte ausgingen, und ein Schauer lief über seinen Rücken.
    «Sag mal, Julia, kennst du jemanden außer dir, der öfters bei den Vogels vorbeigekommen ist? Einen Erwachsenen zum Beispiel?»
    «Also, da war ein Mann mit einem großen Laster. Der ist ganz oft gekommen.»
    «Weißt du, was er wollte?»
    «Zur Sabrina wollte der.»
    Ach nein. Eine Affäre? Der Mörder ein abgelegter Liebhaber von Frau Vogel, der sich rächen wollte? Das wäre ein plausibles Motiv.
    «Weißt du, wie der Mann hieß?»
    «Nicht so genau.»
    «Aber ungefähr?»
    «Also, der hieß Herr Winter oder so ähnlich. Bloß, es war nicht Herr Winter.»
    Winter verkniff sich ein Grinsen. Zufälle gab’s!
    «Wenn es dir einfällt, schreib es bitte auf oder merk es dir gut. Später kommt sicher noch mal ein Polizist und befragt dich, weil du eine wichtige Zeugin bist. Wie sah der Mann mit dem Laster denn aus?»
    Von ferne, von Richtung Nachbarhaus, kam jetzt eine kleine, untersetzte Frau in der dunkelblau-türkisen Uniform der Frankfurter Verkehrsbetriebe mit schnellen Schritten den Feldweg entlang. «Julia!», rief die Frau, «Julia!»
    «Ach, Menno», stöhnte das Mädchen, ohne auf die Rufe zu reagieren. «Das ist meine Mutter. Aber die ist doof. Die Sabrina war viel netter.»
    Winter verkniff sich wieder ein Grinsen. Was Kinder manchmal sagten …
    «Alles in Ordnung!», rief er der besorgt aussehenden Frau zu, «ich bin von der Polizei.»
    Dann fragte er die kleine Julia nochmals nach dem Aussehen des mysteriösen Mannes mit dem Laster.
    «Weiß nicht. Ganz normal.»
    «Wie alt?»
    «Normal alt», erklärte die kleine Julia. Mit einem kritischen Blick auf Winter fügte sie an: «Nicht so alt wie Sie.»
    Kindermund, dachte Winter erneut. Da er selbst dreiundvierzig war, mochte der «normal alte» Lastwagenfahrer gerade das richtige Alter gehabt haben, um für die neunundzwanzigjährige Sabrina Vogel einen Liebhaber abzugeben.
    Die Mutter war nun herangekommen, eine vergröberte, dickere
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