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Schattengreifer - Die Zeitenfestung

Schattengreifer - Die Zeitenfestung

Titel: Schattengreifer - Die Zeitenfestung
Autoren: Bastei Lübbe
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Hügelspitze zog sich Simon das Hemd aus. »So werde ich wohl weniger auffallen«, erklärte er knapp. »Ihr habt ja bestimmt auch bemerkt, dass die Männer mit nacktem Oberkörper herumlaufen.«
    »Guter Einfall«, antwortete Caspar und schlüpfte ebenfalls aus seinem Hemd.
    Moon blickte an sich herunter. Er zog sich die Mokassins von den Füßen und steckte sie in seinen Hosenbund. Mit einer kleinen Schnur band er sich die Haare zu einem Zopf zusammen, nachdem er die weiße Feder herausgezogen hatte, die er ebenfalls zu den Mokassins steckte.
    Simon sah alle an. »Ich denke, das müsste ausreichen.«
    Am Stadttor, das sie wählten, waren lediglich zwei Wachen postiert. Sie betrachteten zwar jeden, der in die Stadtanlage hineinwollte, mit kritischem Blick, doch sie ließen einen nach dem anderen durch. Hinter einem Karren, auf dem scheppernd mehrere Tonkrüge transportiert wurden, traten die Freunde durch das riesige Tor. Der kühlende Schatten der Stadtmauer tat gut nach der Hitze der Wüste. Rechts und links in diesem hohen Torbogen hatten sich Menschen eingefunden, die vor der Sonne geflüchtet waren. Einige Männer schliefen, an die Wand gelehnt, andere unterhielten sich miteinander.
    »Ich finde es hier jetzt schon ur-gemütlich«, gab Simon von sich, und er musste über sein eigenes Wortspiel kichern. Er wunderte sich beinahe selbst, mit welcher Ruhe sie die Suche nach Nin-Si angingen. Wieso waren alle so gelassen, wo es doch für ihre Freundin um Leben und Tod ging?
    Simon musterte unauffällig die Gesichter seiner Freunde und verstand: Sie waren mutiger geworden und entschlossenerals je zuvor. Zwar hatten sie schon Rückschläge erlebt, aber andererseits hatten sie dem Schattengreifer schon mehrere Male ordentlich zusetzen können. Sie waren inzwischen echte Kämpfer geworden. Zeitenkrieger, die diesen Namen verdienten.
    »Seht nur!«
    »Unglaublich!«
    Sie hatten das Innere der Stadtanlage erreicht. Sie befanden sich jetzt auf dem Tempelhof, direkt vor der riesigen Zikkurat. In ihrer Größe überragte sie alles, was Simon bisher gesehen hatte. Doch das Bauwerk mutete keinesfalls bedrohlich an. Im Gegenteil, hier auf dem Tempelhof fühlte man sich regelrecht beschützt von diesem Turm, der mit all seinen Pflanzen und den farbigen Mosaiken einladend wirkte.
    Der Vorhof selbst glich einem Ameisenhaufen. Hier pulsierte das Leben der Stadt. Und die Freunde befanden sich mitten in einem bunten Treiben, von dem sie von der Hügelkuppe aus nur einen Bruchteil wahrgenommen hatten.
    Der gesamte Hof war ein einziger Markt, auf dem die verschiedensten Waren angeboten wurden: Früchte und Brot, Stoffe und Kleidung, Halsketten und Armreife, Skulpturen und Gefäße und natürlich Tiere: Rinder, Schafe, Maultiere.
    In allen Ecken spielten Straßenmusikanten auf Harfen, Flöten oder Trommeln. Häufig tanzten die Menschen dazu, oder sie klatschten im Takt.
    Kinder vergnügten sich mit winzigen Steinen zwischen den Beinen der Erwachsenen, die auf dem Platz spazierten, sich die Waren der Händler ansahen oder miteinander diskutierten. Manche Menschen lagen entspannt in der Sonne, währendandere hektisch miteinander feilschten. Stoffe wurden gewebt, Schalen getöpfert, Bärte geschnitten, sogar Kühe gemolken.
    Simons Angst, er und seine Freunde könnten auffallen, war unnötig gewesen. Hier, in dieser Stadt, war man durch den Handel mit den unterschiedlichen Ländern Fremde gewohnt. Zwischen all den sumerischen Menschen und denen aus der näheren Umgebung, die Simon vor allem daran erkannte, dass sie ihn – wie Nin-Si – von ihrem Äußeren eher an die asiatischen Menschen seiner eigenen Zeit erinnerten, sah er auch viele Menschen mit dunklerer Hautfarbe oder mit Gewändern, die ihn an andere Länder denken ließen. Simon fand es spannend, die Menschen anhand ihres Äußeren zuzuordnen. Ein Mann wirkte griechisch auf ihn, einer indisch und ein dritter – Simon machte Neferti schnell auf ihn aufmerksam – sogar ägyptisch.
    Vor einer der gewaltigen Treppen zum Tempel fand ein Wettkampf statt. Zwei Männer rangen miteinander, und Simon staunte, als er die beiden Tonkrüge erkannte, die beide Kämpfer auf ihren Köpfen balancierten. Die Spielregel war Simon sofort klar, ohne dass man sie ihm hätte erklären müssen: Der, dessen Krug zuerst auf dem Boden zerschellte, war der Verlierer des Wettstreits. Und Simon beobachtete voller Bewunderung die beiden Männer, die sehr viel Geschick zeigten in diesem schweren Kampf.
    Simon
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