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Schattengreifer - Die Zeitenfestung

Schattengreifer - Die Zeitenfestung

Titel: Schattengreifer - Die Zeitenfestung
Autoren: Bastei Lübbe
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alles völlig unglaublich klang. Sie kannte ihren Sohn. Er hatte sie noch nie belogen. Und das, was sie an diesem Tag bereits erlebt hatte, ließ sie erahnen, dass sie noch viel unglaublichere Dinge zu hören bekommen würde.
    »Er greift sich deinen Schatten – dann, wenn die Not am größten ist«, berichtete Simon. »Er greift sich deinen Schattenund zerrt dich hinaus aus deiner Welt. Hinaus aus deiner Zeit. Auf dieses Schiff – den Seelensammler. Und niemand kann dich retten. Niemand weiß von dir. Niemand weiß von diesem Seelensammler.«
    Es war Simon geradezu, als spräche Basrar aus ihm heraus. Diese Worte hatte Basrar benutzt, in der ersten Nacht. Der Junge aus Karthago. Der, den der Schattengreifer als Ersten zu sich genommen hatte, wie Simon damals noch geglaubt hatte.
    »Er entführt die Jugendlichen und nimmt sie mit auf sein Schiff. Sie sind seine unfreiwilligen Gehilfen bei der Durchführung seines großen Plans. Er braucht ihre Fähigkeiten und ihr Wissen.«
    Und Simon berichtete weiter. Alles, was geschehen war. Irgendwann wandte er den Blick vom Fenster ab und schaute auf seine Hände, die er offen auf den Tisch gelegt hatte. Seine Finger spielten mit der Haarlocke und der Raubtierkralle.
    Jessica lauschte. Jedes einzelne Wort nahm sie in sich auf, mochte es noch so unglaublich klingen.
    Schließlich erklärte Simon seiner Mutter den großen Plan des Schattengreifers: sein Vorhaben, die Welt zu versklaven, die Menschen seinem Willen zu unterwerfen, damit endlich alle Streitigkeiten und alle Kriege ein Ende hätten. Die Welt in seiner Hand, in seiner Obhut.
    Und dann fiel Simon erschöpft in sich zusammen. Er hatte sicherlich zwei Stunden ohne Unterbrechung geredet. Nun fühlte er sich leer und matt und blickte mit müden Augen auf sein Saftglas, das er seit dem ersten Schluck nicht mehr angerührt hatte.
    Jessica saß ihm mit offenem Mund gegenüber. Ihre Wangen glühten. Auch sie fühlte sich erschöpft. Und es war ihr anzusehen,dass sie noch immer versuchte, all das Unglaubliche zu verstehen.
    Simon spürte, dass ihr die gesamte Tragweite seines Berichtes noch nicht bewusst geworden war. Er richtete sich in seinem Stuhl auf, und obwohl alles in ihm sich dagegen wehrte, sagte er knapp: »Es ist eine Falle.«
    Und diese Worte ließen Jessica erneut aufhorchen. »Wie meinst du das?«
    »Papa hat das Risiko auf sich genommen, um mich zu retten. Doch das war ein schlimmer Fehler. Er hat mich nicht gerettet, er hat uns beide in Gefahr gebracht!«
    Jessica verlor das letzte bisschen Ruhe. »Was bedeutet das?«, fuhr sie Simon an. »Nun sag schon!«
    »Der Schattengreifer hat Papa gefragt, wie weit er gehen würde, um mich zu retten. Das kann nur eines bedeuten: Er führt ihn wieder zu dem Moment zurück, an dem Papa von dem Schiff geflohen ist. Und Papa glaubt sicher, dass er mich rettet, wenn er dieses Mal auf dem Schiff bleibt. Wenn er den rettenden Sprung dieses Mal nicht wagt. Doch dann …«
    »… ändert sich die gesamte Vergangenheit«, schloss Jessica bestürzt. Simon war überrascht, wie schnell sie diese besondere Situation erfasst hatte.
    »Ich hätte ihn ja nie kennengelernt«, murmelte sie. »Und dich, Simon …«
    »… mich würde es gar nicht geben.«
    »Wenn dein Vater also nicht springt, so wie einst …«
    »… dann werde ich verschwinden. Mich auflösen oder in mich zusammenfallen oder davonfließen. Wie auch immer: Springt Papa nicht von Bord, dann ist es mit mir aus.«

    »Und wenn er springt?«
    »Dann werden wir die Rache des Schattengreifers zu spüren bekommen«, gab Simon zur Antwort, und in derselben Sekunde schoss es ihm und seiner Mutter durch den Kopf: was immer dies für uns bedeuten wird. Doch keiner der beiden wagte es, diesen Gedanken laut auszusprechen.
    Plötzlich war es wieder da, dieses Gefühl der Hilflosigkeit. Es zerrte an Simon. Augenblicklich erwachte wieder die Wut in ihm. Er musste seine Freunde warnen. Und auch seinen Vater. Doch er saß hier, festgehalten in seinem Zuhause, vor einem Glas Saft.
    »Kann ich dir ein paar Fragen stellen?«, kam es Simon leise über die Lippen.
    Jessica nickte. »Natürlich. Was willst du wissen?«
    »Was hat Papa gesagt, bevor er sich auf den Weg zum Schiff gemacht hat?«
    Sie zuckte die Schultern. »Eigentlich nichts. Er stammelte Dinge, die ich nicht verstanden habe. Die erst jetzt langsam einen Sinn für mich ergeben. Ein Geheimnis, von dem ich bisher nichts ahnen konnte. Ein Ereignis in seiner Jugend …«
    Simon
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