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Schattengreifer - Die Zeitenfestung

Schattengreifer - Die Zeitenfestung

Titel: Schattengreifer - Die Zeitenfestung
Autoren: Bastei Lübbe
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Doch es stand nichts darauf geschrieben, wie er gehofft hatte.
    Noch einmal ließ er seinen Blick schweifen, aber nirgendwo entdeckte er ein Blatt Papier oder ein weiteres Stück Stoff oder irgendetwas anderes, auf das die Formeln geschrieben sein könnten – die Formeln, die ihn zurück zum Seelensammler bringen könnten.
    Sein Herz sackte. Alles in ihm wurde schwer.
    Jessica trat an ihn heran. »In der Kiste ist nicht das, was du suchst, oder?«

    Simon blickte zu ihr auf und schüttelte den Kopf.
    »Das Stück Stoff, das dein Vater darin gefunden hatte, war etwas größer, aber …«
    Simon wurde hellhörig. »Papa hat solch einen Stoff herausgenommen?« Schnell griff Simon in die Kiste, und urplötzlich lachte er auf. Er hätte sich ohrfeigen können, dafür, dass er durch die Suche nach den Zauberformeln dem Stoff keine Beachtung geschenkt hatte. Jetzt, hier zwischen seinen Fingern, wurde ihm urplötzlich klar, woher das Stückchen stammte. Er kannte dieses Gefühl. Er wusste, dass es sich um ein Stück Segel des Seelensammlers handelte.
    Er strahlte. Dieses Stückchen Stoff, so klein es auch sein mochte, konnte ihn zu dem Schiff führen. Wenn er nur die Formeln kennen würde.
    Noch einmal schaute er sich um. Seine Finger spielten mit der Kralle. Simon hätte platzen können vor Ungeduld. Er dachte an seine Freunde zurück, die jetzt nur noch eine Zauberformel weit von ihm entfernt waren. Er wollte sie wiedersehen. Er wollte sie in den Arm nehmen.
    Neferti.
    Er sah ihr Gesicht. Ihr Lachen. Er sah, wie sich ihre Lippen bewegten, als sie ihm zuletzt noch zugerufen hatte: »Wir sehen uns wieder.«
    Und auf einmal war es ihm, als könne er ihren Geruch wahrnehmen. Ihr Haar riechen. Ihre Stimme hören. Seine Sehnsucht nach ihr und nach seinen Freunden wurde übergroß. Seine Fantasie spielte ihm Streiche. Schon glaubte er, das Knarren der Planken zu hören und auch die Schreie der Krähen in den Körben. Er konnte das Meer riechen und das Salz auf seiner Haut spüren.

    Sehnsucht.
    In diesem Augenblick regte sich etwas tief in ihm. Eine Kraft, die er nicht kannte, bemächtigte sich seiner. Alles um ihn herum wurde für einen Moment schwarz, dann plötzlich sah er wirbelnde Sterne vor seinem geistigen Auge. Ein Sausen übertönte erst alle Geräusche, bevor er eine Stimme hörte. Jemand redete in einer Sprache, die er nicht kannte. Formeln wurden ausgesprochen. Und Simon verstand schnell, dass er es war, der diese Worte von sich gab.
    Wie in Trance zückte er die Raubtierkralle in seiner Hand, hielt sie sich an die Handfläche und ritzte hinein. Das Blut strömte warm über seine Hand, über den Stoff, die Haarlocke seiner Mutter.
    Das Wirbeln vor seinen Augen wurde stärker, bis plötzlich alle Sterne verschwanden und Simon einen letzten Blick auf seine Mutter werfen konnte, die ihm ängstlich und sorgenvoll, aber doch mit einem Hoffnungsschimmer in den Augen hinterhersah.
    Dann drehte sich alles um ihn.

Er wandte sich ab.
Die Zeit des Redens und des
Verhandelns war vorüber.
Er hatte sich entschieden, und nichts konnte
ihn davon abhalten. Auch nicht die vertraute Stimme, die nun nach ihm
rief. Die ihn bat, zu bleiben und nicht zu gehen.
Doch er blieb
unbeeindruckt. Beinahe genoss er es, den Verzweifelten hinter sich zu
lassen. Ihn mit seiner Angst allein zu lassen in den langen Gängen
seiner Festung.
Sollte er es ruhig als Strafe verstehen. Als Strafe
für die Flucht, die er einst vorgezogen hatte.
Der Magier verdrängte
die Rufe aus seinem Kopf und betrat die riesige Halle.
Er hatte sich
entschlossen, neu zu beginnen. Auch wenn ihn das viel Mühe und Zeit
kosten würde.
Er war bereit, sich noch einmal in Geduld zu üben und
den Neuanfang zu wagen.
Den Neuanfang.
Dann, wenn das Alte aus dem Weg
geräumt war.

Hart schlug er mit dem Kopf auf. Der Schmerz durchfuhr seinen ganzen Körper. Doch der Geruch nach altem morschem Holz ließ Simon sofort allen Schmerz wieder vergessen. Der vertraute Duft und der wunderbare Klang knarrender Bretter waren sein Willkommensgruß. Das Rumoren, von dem das ganze Schiff ergriffen wurde und das sich auch sacht auf Simons Haut legte, wirkte wie eine freundschaftliche Berührung.
    Zu gern wäre Simon aufgesprungen, wäre über das Deck gerannt und hätte seine Freunde gesucht. Doch er musste sich zügeln. Er wusste ja nicht, ob der Schattengreifer an Deck war und in welcher Lage sich seine Freunde befanden.
    Vorsichtig öffnete er die Augen. Die Flammen auf den Mastspitzen waren das
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