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Schattengreifer - Die Zeitenfestung

Schattengreifer - Die Zeitenfestung

Titel: Schattengreifer - Die Zeitenfestung
Autoren: Bastei Lübbe
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bohrte weiter nach: »Wie ist er auf das Schiff gekommen?« Er wusste zwar nicht, wohin ihn diese Fragen führen konnten, doch er hatte das dringende Bedürfnis, sich alldem zu stellen.
    Seine Mutter lachte kurz auf. »Wenn ich dir das sagen könnte. Erst hat er im Garten nach etwas gesucht – nach dieser Kralle, die du in den Händen hältst.«
    »Die Kralle? Was hat er damit getan?«
    »Wenn ich dir das beschreiben könnte. Er murmelte unverständliches Zeug, und dann hat Christian sich mit der Spitzeder Kralle in die Hand geschnitten. Allerdings erst, nachdem er auch eine Haarlocke von mir hatte.«
    Noch einmal blickte Simon auf seine Hände, in denen er die Locke und die Kralle bewahrte. Doch dieses Mal schaute er nicht gedankenverloren darauf. Ein Zittern überkam ihn. Ein Hoffnungsschimmer. Gab es vielleicht doch einen Ausweg für ihn? Konnte es sein, dass er gerade die Lösung seines Problems in den Händen hielt? Wenn sein Vater es mit der Kralle auf das Schiff geschafft hatte, konnte dann möglicherweise auch Simon damit zum Seelensammler zurück?
    Sein Vater hatte sich die Krallenspitze in die Haut geritzt, kurz bevor er zum Seelensammler gekommen war. Genau so, wie er mit der Spitze Simons Handfläche eingeritzt hatte, als er ihn von Bord des Seelensammlers geschickt hatte. Die unverständlichen Worte, von denen Jessica gerade berichtete, hatte Simon ebenfalls gehört. All das schien eine Möglichkeit zu bieten, das Schiff zu besuchen und zu verlassen. Doch was hatte es mit der Locke auf sich?
    Simon wurde immer aufgeregter: »Was hat er genau getan, Mama?«, fragte er hektisch. »Was war es?«
    »Was ist denn mit dir? Du …«
    »Bitte, sag es mir: Was hat er getan?«
    Wieder zuckte sie die Schultern. »Er kniete auf der Erde, murmelte diese Formeln und …«
    Simon zeigte mit der linken Hand auf seine rechte. »Und die Haarlocke?«
    »Die hat er mir abgeschnitten, kurz bevor er von Rückkehr sprach.«
    Simon atmete auf. Jetzt war ihm alles klar! Die Locke hatte ihn hierher geführt. Für den Zauber brauchte man etwas vondem Ort, an den man reisen wollte. Wenn Simon also wieder auf den Seelensammler zurückkehren wollte, dann benötigte er diese Kralle, etwas von dem Schiff und die Formeln. Und er durfte keine Sekunde mehr zögern. Er musste zurück auf das Schiff.
    Jetzt!
    Hastig sprang er auf. »Wo hat Papa gegraben?«
    »Simon, was ist denn plötzlich mit dir?«
    »Bitte, sag mir, wo er gegraben hat.«
    Sie wies aus dem Fenster. »Draußen im Garten, an der Kastanie. Wieso …«
    Er stürzte nach draußen. »Ich darf keine Zeit verlieren. Ich muss los.«
    Jessica sprang von ihrem Platz auf und rannte ihrem Sohn hinterher. »Was? Du musst los? Aber …«
    »Verstehst du nicht? Ich muss auf das Schiff. Ich muss alle warnen!« Schon erblickte er die aufgeworfene Erde am Fuß der Kastanie. Christians Spaten steckte noch im Boden, und davor stand eine kleine Kiste mit geöffnetem Deckel. Auf Simon wirkte sie geradezu einladend. Er wollte darauf zulaufen, doch Jessica hielt ihn am Arm. Unbändige Angst sprach aus ihren Augen. Angst um ihren Sohn.
    »Du willst zurück auf dieses Schiff? Gerade jetzt, wo ich dich endlich wiederhabe? Du glaubst nicht, was für Sorgen ich in den vergangenen Stunden ausgestanden habe. Um dich. Um deinen Vater.«
    Simon versuchte, sich aus dem Griff zu lösen. »Ich muss zurück, Mama. Ich muss.«
    »Du willst dich erneut in Gefahr begeben?«

    Es gelang ihm nicht, ihren Griff zu lockern. »Verstehst du denn nicht? Ich bin in größerer Gefahr, wenn ich hierbleibe. Und Papa auch. Ich bin vermutlich der Einzige, der die hinterhältige Falle des Schattengreifers erkannt hat. Ich bin vielleicht der Einzige, der weiß, dass Papa gerade mit seinem und mit meinem Leben spielt.«
    Der Griff um seinen Arm löste sich. Jessica blickte ihn verzweifelt an. »Und es gibt nur diese eine Möglichkeit?«
    Simon nahm ihre Hände in seine. »Glaub mir: Ich muss zurück!«
    Sie seufzte.
    »Es tut mir leid.« Simon ließ ihre Hände los und wandte sich wieder der Kastanie zu. Vor der kleinen Kiste ließ er sich auf die Knie fallen. Er nahm die Kiste in beide Hände und schaute wie im Fieber hinein. Doch wie groß war seine Enttäuschung, als er erkannte, dass sie beinahe leer war. Einzig ein Stückchen Stoff, gerade so groß wie ein Geldstück, lag darin. Simon sah sich fieberhaft um. Ein Stofftaschentuch lag neben dem Spaten. Er beugte sich vor, griff danach und faltete es hektisch auseinander.
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