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Schattengreifer - Die Zeitenfestung

Schattengreifer - Die Zeitenfestung

Titel: Schattengreifer - Die Zeitenfestung
Autoren: Bastei Lübbe
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haben.«
    »Kommt, Freunde«, bat Simon. »Irgendwo dort werden wir Nin-Si finden.«
     
    Das Knurren war schon längst verstummt. Nichts war mehr zu hören in diesem finsteren Gefängnis.
    Erst allmählich fand Christian den Mut, sich wieder zu bewegen. Die Bestie vor seiner Zelle schien zu schlafen, und keinesfalls wollte er sie wecken.
    Andererseits wollte er auch nicht weiter an der nassen Höhlenwand verharren, ohne zu wissen, was ihn erwartete. Noch immer fragte er sich, warum der Schattengreifer ihn hierher geführt hatte. Warum er in diesem Loch steckte und nicht an Bord des Seelensammlers stand.
    Zuerst einmal benötigte er Licht. Diese allumfassende Dunkelheit machte ihn verrückt. Nicht der kleinste Lichtschimmer drang zu ihm hindurch. Er musste wahrlich sehr tief in einer Höhle oder einem Stollen stecken.
    Licht!
    Wieder kniete sich Christian auf die Erde und suchte den Boden nach der Fackel ab. Er wusste ja nun, in welcher Richtung der Tiger lag, und so suchte er den Boden in der anderen Richtung ab. Und tatsächlich, schon bald hatte er die Fackel in der Hand. Er tastete sie ab. So weit er das mit seinen klammen, feuchten Fingern feststellen konnte, war nur die Spitze der Fackel völlig durchnässt. Der übrige Teil wirkte auf Christian so, dass er sich vielleicht entzünden lassen konnte.
    Doch wie?
    Ein Streichholz oder ein Feuerzeug besaß Christian nicht.
    Noch einmal ging er in die Hocke und fühlte den Boden ab, bis er einen handgroßen Stein gefunden hatte. Er stand auf und schlug ihn hart gegen die steinerne Wand hinter sich.
    Funken sprühten. Und Christian lächelte. Zum ersten Mal, seit er hier unten festsaß.
    Mit einer Hand hielt er nun die Fackel dicht gegen die Wand, während er mit der anderen Hand den Stein immer und immer wieder fest gegen die Wand schlug. Funken sprühten und rieselten über die Fackel.
    Der Tiger erwachte. Er knurrte. Doch Christian beachtete ihn nicht. In ihm keimte Hoffnung auf. Hektischer und wilder schlug er den Stein gegen die Wand. Die Funken stoben und wurden größer. Bis sich zwei in der Fackel festsetzten und eine erste kleine Glut bildeten.
    Sachte, beinahe zärtlich, blies Christian auf die unscheinbare Glut. Eine kurze Rauchwolke erhob sich, dann bildete sich eine kleine Flamme. Noch einmal blies Christian vorsichtig dagegen, und die Flamme fauchte auf.
    Christian jubelte. Er hatte Licht!
    Endlich!
    Der Tiger erhob sich von seinem Platz und blickte misstrauisch in die Zelle.
    »Na, du alter Wandteppich, das hättest du nicht gedacht, was?«, rief ihm Christian zu. Er hätte Luftsprünge machen können, so sehr freute er sich über seinen kleinen Sieg. »Ganz ohne Streichholz. Licht! Da staunst du, oder? Streifenpelzchen!«
    Am liebsten hätte er in seiner Zelle getanzt, doch die Gefahr, in der er sich befand, wurde ihm rasch wieder bewusst, und er verharrte auf seinem Platz.
    »Entschuldige, falls ich dich erschreckt habe. Oder falls du jetzt an meinem Verstand zweifelst«, flüsterte er dem Säbelzahntiger vergnügt zu, der noch immer zu ihm in die Zelle starrte. Es war ein eigenartiges Starren. Ein merkwürdiger Blick.
    Christian ging mit der Fackel einen Schritt auf das Tier zu. Zum ersten Mal besah er sich den Tiger genauer. Und der ließ es zu.
    Die Pupillen waren nicht zu erkennen. Der Tiger beobachtete Christian mit seinen grauen Augen. Das Tier wirkte zwar überaus gefährlich, doch jetzt wurde Christian bewusst, dass es vor allem die langen Säbelzähne waren, die ihn erschreckten. Davon abgesehen tat ihm das Tier beinahe leid. Trotz aller Kraft, die sicherlich noch in seinen Muskeln steckte, wirkte der Tiger matt und erschöpft.
    Nein, es war keine Erschöpfung. Christian ging noch einen Schritt auf ihn zu. Der Tiger war nicht erschöpft. Er war gebrochen. Zum ersten Mal in seinem Leben schaute Christian auf ein Wesen, das mehr tot war als lebendig. Der Tiger sah aus, als würde er mit aller Kraft am Leben erhalten werden. Traurige Augen blickten Christian entgegen, und ihm wurde klar, dass dieses Tier bereits zu sehr gestorben war, um als lebendig zu gelten, dass ihm aber auch nur so viel Leben gewährt wurde, dass es nicht sterben konnte.
    Plötzlich warf der Tiger erneut seinen Kopf herum und brüllte laut auf. Doch dieses Mal verstand Christian: Dies war kein drohendes Brüllen einer gefährlichen Raubkatze, es war der erschütternde Verzweiflungsschrei einer Kreatur, die nicht mehr Herr über ihr eigenes Leben war.Beim Abstieg von der
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