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Schattengott

Schattengott

Titel: Schattengott
Autoren: Uli Paulus
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Endstation in San Bernardino?»
    «Ja, da hab ich immer ein paar Minuten Aufenthalt und seh nach, ob
der Bus sauber ist. Aber das war ja nur so ein Säckchen mit Steinen. Deswegen
hab ich es ja weggeschmissen.»
    «Das kann uns schon helfen», meinte Sabina. «Was hatte denn das
Säckchen für eine Farbe?»
    «Dunkelgrün, grau», sagte Höhli.
    «Und wie oft wird da oben der Mülleimer geleert?»
    «Das weiss ich wirklich nicht.» Höhli schüttelte den Kopf. «Einmal
in der Woche vielleicht?» Er kratzte sich am Kinn. «Wie lang werden Sie mich
hier eigentlich festhalten?»
    «Ich denke, dass Sie bald gehen können. Aber es wäre hilfreich, wenn
Sie hierbleiben, bis sich alles geklärt hat.»
    Höhli sah zu Boden. Wenn er es darauf angelegt hätte, hätten sie ihn
nicht dabehalten können. Doch der Mann war viel zu willfährig, um sich zu
wehren und auf seinen Rechten zu beharren. Sabina hatte ihm angeboten, mit
einem Anwalt zu sprechen. Aber er hatte nur abgewunken. Ihm war seit dem
Vergewaltigungsprozess offenbar sein Leben aus den Händen geglitten und jetzt,
angesichts eines neuen Vorwurfs, versank er vollkommen in lethargischer
Gleichgültigkeit.
    Sabina spürte den Impuls, den Mann zu trösten, beliess es aber bei
einer freundlichen Geste. Sie bedankte sich für seine Aussage und übergab ihn
an einen Kollegen.
    Als sie das Einvernahmezimmer verliess, kam ihr Heini entgegen.
    «Ich fahre gleich nach San Bernardino, um einer Aussage von Höhli
nachzugehen. Kannst du mein Telefon übernehmen?»
    «Ja, ja, geht nur alle», sagte der schwergewichtige Kollege im
Vorübergehen. «Schliesslich gibt es hier ja nichts zu tun.»
    Sabina versuchte, den Zorn im Zaum zu halten, der sich angesichts
der Bemerkung in ihr regte. Als sich Heini noch einmal umdrehte und ihr
zugrinste, wusste sie, dass er nur einen seiner Spässe gemacht hatte.
    In weniger als zwanzig Minuten war sie in Thusis. Von dort aus
bohrte sich die Autobahn durch mehrere Tunnel hinauf ins Val Schons. Hier lag
Zillis mit seiner berühmten Kirche und etwas oberhalb, am Hang, der kleine Ort
Reischen. Irgendwo zwischen diesen beiden Orten musste die junge Frau
verschwunden sein. Nach der protokollierten Aussage ihrer Eltern fehlten weder
Kleider noch persönliche Sachen. Die Mutter hatte bereits am Wochenende auf dem
Polizeiposten in Thusis ihre Angaben gemacht. Sabina aber wollte sich selbst
noch einmal ein Bild machen. Sie bog von der Autobahn ab und nahm an der Post
in Zillis die Abzweigung nach Reischen.
    Der Ort bestand nur aus zehn, fünfzehn Häusern und einer kleinen,
gedrungenen Kirche am Ortseingang. Alles hier wirkte so friedlich, gepflegt und
aufgeräumt; es war schwer vorstellbar, dass irgendjemand diese Idylle durch ein
Verbrechen befleckte. Fakt aber war, dass das Mädchen verschwunden war. Und
grundsätzlich konnte natürlich auch jeder Bewohner der kleinen Ortschaft dafür
verantwortlich sein. Wer wusste schon, was in den Köpfen dieser fleissigen,
verschlossenen Bergmenschen vorging?
    Sabina stellte ihren Wagen gleich beim ersten Haus an der Kirche ab
und fragte einen älteren Bauern nach der Familie Jakobs.
    «Ist es wegen der Katharina?», fragte er.
    «Ja, wir wollen sie so schnell wie möglich finden.»
    «Gleich hier.» Der Bauer zeigte auf das stattliche Haus oberhalb der
Kirche. «Da wohnen der Simon, die Ursina und die Katharina. Das sind gute
Leut.»
    Sabina betrachtete die Malereien an dem mehrstöckigen Bündnerhaus.
Hier wohnte eine wohlhabende Familie, so viel stand fest.
    Sie klopfte an die Tür. Eine Frau mittleren Alters öffnete und
starrte erst in Sabinas Gesicht und dann auf ihren Dienstausweis.
    «Bitte», sagte sie und bat Sabina herein.
    Aus der Küche roch es nach frischem Kuchen. Sabina nahm an einem
alten Weichholztisch in der Stube Platz. Frau Jakobs bot ihr einen Kaffee an
und brachte ein Stück Nusskuchen, der noch warm war.
    «Irgendwas muss man ja tun, um sich abzulenken. Ich hoffe, er
schmeckt Ihnen.»
    Sabina fragte nach Freunden, Bekannten, Verwandten, Nachbarn und
Kollegen. Doch nirgends ergab sich ein Anhaltspunkt. Die Ausführungen der
Mutter zeichneten das Bild eines normalen, lebenslustigen Mädchens mit intakten
sozialen Beziehungen und einem guten Umfeld am Arbeitsplatz. Einen Freund hatte
Katharina nach dem Kenntnisstand der Mutter nicht.
    «Ist Ihnen in den letzten Wochen und Monaten irgendetwas an
Katharina aufgefallen?», fragte Sabina. «Hat sie sich irgendwie verändert?»
    Die Mutter
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