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Schattengott

Schattengott

Titel: Schattengott
Autoren: Uli Paulus
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überlegte. «Sie hat mehr Musik gemacht in letzter Zeit»,
sagte sie schliesslich, «hat sich öfter zurückgezogen und Gitarre gespielt.»
    «Weil sie etwas beschäftigte? Als seelischer Ausgleich?», fragte
Sabina.
    «Ich weiss nicht», antwortete Frau Jakobs. «Ich glaube eher, dass
sie einfach wieder mehr Freude an der Musik hatte. Sie hat sich manchmal mit
Freunden getroffen, um zu musizieren. Draussen in der Natur. Aber sie hat nie
was Genaueres drüber erzählt.»
    «Ist sie generell eher verschlossen?»
    «Nein, nein», sagte die Mutter, «aber über diese ganz innerlichen
Dinge, über die Musik und den Glauben, da redet sie nicht viel.»
    «Ist sie denn sehr gläubig?», fragte Sabina.
    «Ja, ich weiss auch nicht, irgendwie anders als wir. Sie geht nicht
in die Kirche, aber sie betet schon», sagte Frau Jakobs.
    «Etwas anderes», wechselte Sabina das Thema, «wissen Sie, ob
Katharina ihr Handy bei sich hatte?» Sie ärgerte sich, dass sie nicht längst
danach gefragt hatte. Offenbar hatte es auch keiner der Kollegen getan.
    «Ja, aber es ist ausgeschaltet. Moment, ich gebe Ihnen die Nummer.
Wollen Sie überprüfen lassen, ob sie telefoniert hat?»
    Sabina nickte.
    Die Mutter brachte einen Zettel, auf dem sie Katharinas Handy-nummer
und die Namen und Telefonnummern ihrer engsten Freundinnen notiert hatte.
    «Und von den ganzen Freundinnen hat keine eine Idee, wo Katharina
sein könnte?», fragte Sabina.
    «Sie haben alle gesagt, sie wissen es nicht.»
    «Ich werde mich noch mal drum kümmern. Hat Katharina eigentlich
jemals erwähnt, dass sie Probleme auf der Arbeit hat? Oder dass ihr jemand
nachstellt?»
    «Nein, nie. Sie ist ein sehr unkompliziertes Mädchen. Und ja auch
kaum erwachsen, im Mai wird sie neunzehn.»
    Die Mutter schluckte. Sie sah Sabina mit fast flehendem Blick an.
«Glauben Sie, dass Sie meine Katharina bald zurückbringen?»
    «Wir tun alles, was wir können», sagte Sabina.
    «Ja?», fragte die Mutter.
    Sabina nickte und erwiderte den Blick der Frau.
    Als sie San Bernardino erreichte, dämmerte es schon. Die
Wintersaison ging zu Ende, und der Ort war nicht mal mehr zur Hälfte
ausgebucht. Nur wenige Menschen waren auf den Strassen.
    Sie parkte bei der Post. Die grosse Tonne beim Bushalteplatz war bis
oben hin mit Müll gefüllt. Der Deckel hatte ein grosses Loch in der Mitte und
war mit einer Kette an der Tonne befestigt. Auf den ersten Blick konnte Sabina
nicht erkennen, ob sich das von Höhli beschriebene Säckchen darin befand. Ein
anderer, etwas kleinerer Mülleimer beim Eingang zur Post war fast leer.
    «Scheisse», fluchte sie.
    Ein älterer Mann, der an ihr vorbeiging, sah sie fragend an. Sie
zückte ihren Polizeiausweis und stellte sich vor.
    «Wissen Sie, wie oft hier die öffentlichen Mülltonnen geleert
werden?»
    «Im Moment gar nicht», sagte der Mann, «die Grippe legt doch fast
alles lahm.»
    «Das ist gut», sagte Sabina, woraufhin er sie etwas besorgt ansah.
«Weil ich etwas suche, deswegen ist es gut», präzisierte sie. «Können Sie mir
helfen?»
    Die Tonne war über einen Meter hoch und hatte einen enormen
Durchmesser. Sabina rüttelte am Deckel, aber es tat sich nichts.
    «Warten Sie kurz», sagte der Mann, verschwand in einem der
umstehenden Häuser und kam mit einer Axt zurück.
    «Soll ich?», fragte er und deutete auf die Kette.
    «Ja bitte», sagte Sabina, und schon war das Eisen durchgehackt.
    Gemeinsam stiessen sie die Tonne um, aus der unter einem gewaltigen
Rumsen Plastikflaschen, Zeitungen, Dosen, Taschentücher, Schokoverpackungen und
Obstreste purzelten, dazu Windeln, zerknüllte Plastiktüten, ein kaputter
Fussball und – genau wie es der Busfahrer beschrieben hatte – ein
kleines anthrazitfarbenes Stoffsäckchen.
    Sabina hielt es unter die Strassenlaterne. Es war ein schlichtes
Säckchen ohne Aufschrift. Sie ging damit zum Auto, holte eine Taschenlampe und
zog ein paar Gummihandschuhe an. Mit einem «Mille grazie» verabschiedete sie
sich von dem älteren Herrn, holte die Steine heraus und legte sie nebeneinander
aufs Autodach.
    Sie liess den Kegel der Taschenlampe über die Ansammlung streichen
und hielt inne. In einen der Steine war ein Wort geritzt: Rabe .
    Sabinas Herz schlug schneller, als sie die anderen Steine genauer
untersuchte. Auch auf dem nächsten stand etwas: Blut. Auf dem dritten Stier . Auf dem vierten Post . Dann Bank. Himmelsleiter . Russland .
    Ein Schuss Adrenalin versetzte sie in Hochspannung. In alle Steine
waren Worte
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