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Schattengott

Schattengott

Titel: Schattengott
Autoren: Uli Paulus
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eingeritzt, die aussahen wie die Sgraffito-Verzierungen an den
Häusern der Gegend. Fein säuberlich schraffierte Buchstaben mit grossen
hellgrauen Flächen im dunkleren Stein. Um jeden Buchstaben ein kleines Quadrat
als Umrandung. Waren diese Steine Teil einer Spielausstattung? Oder war hier
ein Entführer am Werk, der rätselhafte Botschaften hinterliess? Der Fall wurde
interessant.
    Sabina fuhr nach Donat und stellte den Wagen vor ihrem Haus ab.
Am Eingang zog sie Schuhe und Mantel aus und schlüpfte in ihre Pantoffeln. Das
Säckchen legte sie auf den alten Fichtentisch in der Stube, dann zog sie ihre
Gummihandschuhe an, griff hinein und breitete die sieben Steine vor sich aus.
    Bank  – das konnte auf die Bank
hinweisen, in der Katharina Jakobs arbeitete. Aber auch auf jede Bank, die
irgendwo am Wegesrand stand.
    Rabe  – ihr war der Rabe am ehesten
als Symbol für Weisheit bekannt.
    Post  – Katharina Jakobs war bei der
Post in Zillis zuletzt gesehen worden, sie war mit dem Postbus gefahren.
    Stier  – was konnte am Stier relevant
sein? Die Kraft? Der Stierkampf, von dem Heini so fasziniert war? Das
Sternzeichen?
    Himmelsleiter  – es gab eine Leiter
auf dem Weg zum Piz Beverin, oberhalb von Donat. «Stairway to Heaven» von Led
Zeppelin fiel ihr noch ein. Und gab es da nicht irgendeine Geschichte in der
Bibel?
    Blut  – bislang war keine Gewalt im
Spiel. Blut konnte für alles stehen. Für den Saft des Lebens, für den Tod, für
das Leiden Jesu, für Gewalt.
    Russland  – Russland verband sie mit
Gasmillionären und undemokratischen Verhältnissen, aber auch mit grosser
Literatur und der berühmten russischen Seele.
    Sabina zog die Handschuhe aus, notierte sich die Begriffe auf
Karteikarten und steckte sie an eine Pinnwand in der Küche.
    Sie ging ins Bad, liess Wasser in die Wanne laufen und gab einen
Schuss Lavendelöl dazu. Ihre iPod-Station stellte sie auf den Wannenrand, dazu
zwei kleine Duftkerzen. Als sie die sphärischen Harmonien der isländischen Band
Sigur Rós hörte, stieg sie ins Wasser und wurde von wohliger Wärme umarmt. Sie
liess den Kopf unter die Oberfläche gleiten und lauschte den verzerrten
Klängen.
    Nicht weniger diffus als die Geräusche unter Wasser war das
Auftauchen dieser Steine. Bis klar war, ob es weitere Indizien gab, würde sie
Malfazi nichts davon erzählen. Zu nah war noch die Erfahrung aus Zürich, als
sie bei einem Mordfall im Rotlichtmilieu verfrüht auf vermeintliche Indizien
gesetzt hatte, die sich im Nachhinein als fingiert erwiesen hatten. Sie hatte
dort zwei Unschuldigen massiv zugesetzt und deren Familien bis an den Rand des
Zerbrechens gebracht. Ihre Kollegen hatten ihr keine Vorwürfe gemacht; das
könne jedem passieren, hatten sie gesagt. Auch an die Presse war nichts
gedrungen. Ihr Chef aber hatte sie vor der gesamten Mannschaft
zusammengestaucht. «Naiv und voreilig», hatte er sie genannt, «und das bei
Ihren Zeugnissen.» Auf keinen Fall wollte sie, dass sich so etwas wiederholte.
Und unter keinen Umständen wollte sie gleich bei ihrem ersten grösseren Fall in
Graubünden als Spinnerin in Erscheinung treten, mit der die Phantasie
durchging.

3
    Als Sabina am nächsten Morgen den Leiter des Erkennungsdiensts
auf dem Gang traf, bat sie ihn diskret in die Kaffeeküche.
    «Was gibt’s so Geheimes?», fragte Reto Beeli, den Sabina für einen
loyalen, vertrauenswürdigen Kollegen hielt.
    «Ich hab etwas, was ich gerne auf Fingerabdrücke untersuchen lassen
möchte. Kannst du das für mich machen, ohne es an die grosse Glocke zu hängen?»
    «Du meinst, ohne das Ergebnis an die Pinnwand zu heften oder auf
Malfazis Schreibtisch zu legen?»
    «Ja, so ungefähr. Ich bin mir nicht sicher, ob es relevant für diese
Vermisstengeschichte aus Reischen ist.»
    «Okay. Worum geht’s genau?»
    «Um ein paar Steine», sagte Sabina. «Hier.» Sie griff in ihre Tasche
und gab ihm das Stoffsäckchen.
    Höhli, der Busfahrer, war wieder auf freiem Fuss, nachdem seine
Frau einen Anwalt eingeschaltet hatte. Den Menschen in Obermutten war nichts
Auffälliges rund um die Alp aufgefallen. Und auch aus anderen Ortschaften kamen
keine brauchbaren Hinweise. In der Mittagspause traf sich Sabina mit einigen
von Katharina Jakobs Freundinnen.
    Die Mädchen zeichneten, wie schon die Mutter, das Bild einer
sympathischen, unkomplizierten jungen Frau, die keine Laster, keine Feinde und
keine Geheimnisse zu haben schien. Ein Entführer meldete sich nicht, eine
Lösegeldforderung gab
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