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Schattengott

Schattengott

Titel: Schattengott
Autoren: Uli Paulus
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Tiefencastel,
Schafsgasse 12.»
    «Na, dann wollen wir mal.»
    Als sie vorfuhren, sah Sabina, dass Kinder im Garten spielten.
Die graugrüne Schindelfassade des alten Hauses benötigte dringend einen
Anstrich. Von den Fensterrahmen blätterte die Farbe ab. Die Vorhänge hinter den
milchigen Fenstern wirkten schmutzig.
    «Hübsch», sagte Malfazi und klingelte.
    Eine hagere Frau Mitte vierzig, die braunen Haare zu einem Dutt
zusammengebunden, öffnete die Tür.
    «Ja bitte?», sagte sie und blickte auf die Dienstausweise, die ihr
entgegengestreckt wurden.
    «Claudio Malfazi und meine Kollegin Sabina Lindemann. Sind Sie Frau
Höhli?»
    «Ja», sagte die Frau verstört. «Was ist denn passiert?»
    «Ist Ihr Mann da, Frau Höhli?», fragte Sabina.
    «Nein, der wohnt nicht mehr hier. Ist zu seinem Bruder gezogen.»
    «Seit wann?», fragte Malfazi.
    «Seit Freitag erst, warum?»
    Malfazi und Sabina hatten denselben Gedanken.
    «Wo wohnt denn der Bruder?», fragte sie.
    «In Obermutten. Die beiden machen die Alp fertig für den Sommer.»
    «Die Hütten direkt unter dem Muttner Horn?»
    «Ja, die Alp beim Sendemasten.»
    Sie bedankten sich und gingen.
    Im Garten hüpften die Kinder auf einem Trampolin und kreischten.
    «Komischer Zufall, hm?», sagte Malfazi.
    «Ja, aber wir wissen noch nichts», erwiderte Sabina.
    «Ausser dass der Typ genau an dem Tag abhaut, an dem das Mädchen
verschwindet. Und dass sie in seinem Bus sass, was er sauber verschwiegen hat.
Ich finde schon, dass das mehr als nichts ist.»
    Sabina nahm das Lenkrad fester in die Hand. «Das kann auch alles
Zufall sein. Ich hab mich mal bei einem Fall in Zürich zu früh auf
vermeintliche Indizien verlassen und bin damit voll auf die Schnauze gefallen.
Das passiert mir so schnell nicht noch mal.»
    «Worum ging es denn damals?»
    «Es gibt Dinge, über die redet man. Und es gibt Dinge, über die
schweigt man», sagte Sabina und schaltete hoch. Malfazi nickte. Und schwieg.
    Nach einigen Kilometern auf der Albulastrasse bogen sie Richtung
Mutten ab.
    «Bist du schwindelfrei?», fragte Sabina.
    «Warum, müssen wir klettern?»
    «Nein, aber ich kenne die Strasse nach Obermutten von früher. Das
ist nichts für schwache Nerven.»
    Die Strasse war zunächst gut ausgebaut. Frischer Betonbelag und
grosszügige Ausweichbuchten liessen kaum vermuten, wie es hier früher bergan
gegangen war.
    «Was hast du denn, das ist doch eine ganz normale Strasse», sagte
Malfazi.
    Zum ersten Mal korrigierte er sich, als ihnen im Muttnertobel in
einer Kurve ein VW -Bus
entgegenkam.
    «Ja, Scheisse», brüllte er, «die können doch keinen einspurigen
Tunnel bauen und dann keine Ampeln an den Ausgängen hinmachen!»
    «Offensichtlich schon», sagte Sabina und stieg in die Eisen. Nachdem
sie etwa fünfzig Meter zurückgesetzt hatte, konnte der Bus seitlich ausweichen.
    «Der Tunnel ist neu», sagte sie, «vielleicht ist die Strasse bis
ganz oben so gut ausgebaut.»
    «Gut ausgebaut ist witzig», sagte Malfazi, «die hätten ruhig auch zwei
Spuren in den Tunnel machen können.»
    Kurz nach Mutten war es vorbei mit der betonierten Strasse. Eine
enge, von kraterartigen Spurrinnen zerfurchte Schotterpiste führte hinauf nach
Obermutten. Als ihnen ein riesiger Laster mit Baumstämmen entgegenkam, mussten
sie erneut rückwärts zur nächsten Bucht ausweichen. Der Wagen kroch genau an
der Kante zum Abgrund entlang. Sabina kam an die Grenzen ihrer Fahrkunst.
Malfazi schwieg, bis der Lastwagen vorbei war.
    «Können Frauen rückwärtsfahren?», sagte er, ohne preiszugeben, ob er
es anerkennend meinte.
    «Frauen können sogar rückwärtsfahren und dabei kochen und
telefonieren», sagte Sabina und fuhr mit quietschenden Reifen an. Malfazi
öffnete das Fenster und tupfte sich mit einem Taschentuch die Stirn.
    Die Ortschaft Obermutten bestand ausschliesslich aus alten
Holzhäusern. Menschen waren nicht zu sehen, dafür versperrte ihnen ein
schwerfälliger Berner Sennenhund den Weg. Sabina hupte, aber das Tier rührte
sich nicht von der Stelle. Malfazi stieg schliesslich aus und lockte den Hund
mit seinem Taschentuch weg. Sabina nahm ihn an der Kirche wieder auf, deren
hölzerne Wände über viele Jahrzehnte hinweg von der Sonne fast schwarz gebrannt
worden waren.
    «Stinkt das Taschentuch so nach Schweiss?», lachte sie.
    «Dem Hund hat’s gut gerochen», sagte er.
    Sie deutete auf einen steilen Anstieg, der zum Muttner Horn führte.
«Da müssen wir rauf.»
    «Laufen?» Malfazi fuhr sich fast
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