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Schattenfreundin

Schattenfreundin

Titel: Schattenfreundin
Autoren: Christine Drews
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immer leicht gehabt hatte. Ihre Mutter war eine anspruchsvolle Frau, die immer darauf bestanden hatte, dass ihr Mann neben seiner vielen Arbeit aktiv am Familienleben teilnahm. Katrin bewunderte ihren Vater dafür, dass er das geschafft hatte und fast jeden Abend pünktlich zum Abendbrot zu Hause gewesen war. Manchmal fragte sie sich, warum Thomas das nicht auch konnte.
    Während Katrin durch die schier endlosen Gänge des Klinikums eilte, überlegte sie, ob sie ihren Eltern von der Schwangerschaft erzählen sollte. Ihr Vater würde sich ganz bestimmt über die Nachricht freuen, und das würde ihm guttun. Katrin musste lächeln, als sie daran dachte, wie aufgedreht ihr Vater damals gewesen war, als sie ihm von ihrer ersten Schwangerschaft erzählt hatte. Von da an hatte er sie mit Folsäure und Vitaminen versorgt und jede Bewegung des Babys wissenschaftlich gedeutet. Sie freute sich schon auf sein Gesicht, wenn sie ihm die überraschende Neuigkeit erzählen würde.
    Als sie endlich die Intensivstation erreichte, fand sie ihre Mutter zusammengesackt auf einem Stuhl, die Augen verweint.
    »Mama!« Katrin ging zu ihr und nahm sie in die Arme. »Was ist los? Wie geht es Papa?«
    Mit zitternder Stimme versuchte ihre Mutter etwas zu sagen, aber Katrin verstand kein Wort.
    »Mama! Jetzt beruhige dich! Was ist denn passiert?«
    »Er … er ist tot …«
    Katrin ließ die Arme sinken. Tot? Ihr Papa? Einfach so? Aus heiterem Himmel? Das konnte nicht sein!
    Ihr wurde übel. Hektisch blickte sie sich um. Hier musste doch irgendwo eine Toilette sein! Sie schluckte gegen die Übelkeit an, doch es half nichts. Mit zittrigen Fingern zog sie ein Taschentuch hervor, presste es gegen den Mund und lief los.
    Charlotte ließ sich kaltes Wasser über die Hände laufen und schaute in den Spiegel. In letzter Zeit war sie ungewöhnlich häufig bei Vernehmungen von Schwerverletzten oder Opferangehörigen eingesetzt worden, selbst bei Fällen, mit denen sie nur am Rande zu tun hatte. Ihre männlichen Kollegen blieben von dieser heiklen Aufgabe offenbar verschont. Charlotte hasste das. Heute war sie in die Uniklinik gerufen worden, damit sie die Frau und die drei Töchter eines Unfallopfers befragte, quasi noch bevor sie vom Oberarzt die schreckliche Nachricht bekommen hatten.
    »Ich bin weder Polizeipsychologin noch Bestattungsunternehmerin«, hatte sie schon oft zu ihrem Chef gesagt, aber der hatte nur mit den Achseln gezuckt und etwas von »weiblicher Note« gemurmelt. »Und außerdem«, hatte er hinzugefügt, wohl als letzten Trumpf, »wissen Sie doch selbst, wie oft die trauernde Witwe sich als raffgierige Mörderin entpuppt.«
    Charlotte spritzte sich Wasser ins Gesicht und trocknete es ab. Fast zwei Stunden hatte die Befragung der geschockten Angehörigen gedauert, und immer wieder hatte sie mühsam ihre Ungeduld zähmen müssen. So verdächtig die Begleitumstände bei dem Unfall auch waren, so sicher war sie sich, dass weder Frau noch Töchter auch nur das Geringste damit zu tun hatten. »Lassen Sie die Trauer zu«, hatte sie also zum Abschied mit ruhiger Stimme gesagt. Es war der Satz, den sie in solchen Situationen immer sagte. Aber was sollte das eigentlich heißen? Konnte man Trauer nicht zulassen? Konnte man sich der Trauer um einen geliebten Menschen überhaupt entziehen? Selbst wenn man sie verdrängte, stets blieb ein dumpfes, schweres Gefühl zurück. Das wusste sie viel zu gut aus eigener Erfahrung. Nein, Trauer war ein so übermächtiges Gefühl, dem konnte man sich gar nicht entziehen. Und sie wusste auch, dass es in solch einer Situation keinen Trost geben konnte, nicht einmal, wenn wirklich ein Fremdverschulden vorlag und sie und ihre Kollegen den Verantwortlichen fassen konnten. Es würde Monate dauern, vielleicht sogar Jahre, bis die Trauernden wieder ein einigermaßen normales Leben führen konnten.
    Als sie durch den großen Eingangsbereich des Krankenhauses ins Freie trat, fielen ihr sofort die Menschen auf, die sich um ein parkendes Auto drängten.
    »Wir müssen die Polizei rufen«, hörte Charlotte eine Frau aufgebracht sagen.
    »Und am besten auch gleich das Jugendamt informieren«, sagte eine andere. »Wie kann man nur so herzlos sein?«
    Als Charlotte näher kam, hörte sie das Weinen eines Kindes. Sie drängte sich durch die Menge der Neugierigen und entdeckte einen kleinen hellblonden Jungen in einem Kindersitz auf der Rückbank eines schwarzen Nissan. Er hatte einen Teddybär, dem eine Krawatte um den Hals
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