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Schattenfreundin

Schattenfreundin

Titel: Schattenfreundin
Autoren: Christine Drews
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gebunden war, fest an sich gedrückt und weinte jämmerlich.
    In diesem Augenblick begann ein Handy zu klingeln. Es lag auf dem Beifahrersitz. Charlotte zog die Stirn kraus. Irgend so ein modernes arrhythmisches Zeug, furchtbar. Wie konnte man sich nur so einen nervenden Klingelton aussuchen?
    Bevor sie etwas unternehmen konnte, kam eine junge Frau aus der Klinik gerannt und stürmte auf den Wagen zu. Ihre Augen waren gerötet.
    »Leo, Liebling, oh Gott!«
    Noch im Laufen entriegelte sie den Wagen, dann riss sie die hintere Tür auf, öffnete die Gurte des Kindersitzes und nahm das Kind in die Arme. Tränen liefen ihr über die Wangen.
    »Mama! Mama!«, schluchzte das Kind.
    »Es tut mir so leid, mein Schatz …« Die Frau beugte sich ins Auto und drückte das Handy aus.
    »Erst das Kind allein lassen und dann groß rumheulen«, schimpfte eine der Passantinnen. »So was hab ich gerne!«
    »Schlimm, wie manche Kinder heute leben müssen«, sagte eine andere spitz. »Ich stehe hier schon seit zwanzig Minuten. Und seitdem weint das arme Kind.«
    »Vielen Dank«, sagte Charlotte zu den Umstehenden. »Ich glaube, jetzt ist alles wieder in Ordnung, und Sie können beruhigt nach Hause gehen.«
    »Aber da muss man doch was unternehmen!«, regte sich ein Mann auf. »Wir sollten die Polizei rufen!«
    Charlotte nahm ihren Dienstausweis aus der Tasche und hielt ihn hoch. »Ich glaube, Sie können jetzt alle beruhigt nach Hause gehen«, wiederholte sie mit ruhiger Stimme.
    Die Umstehenden schüttelten den Kopf und warfen der immer noch weinenden Frau böse Blicke zu, während sie sich widerwillig entfernten.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Charlotte.
    Die Frau nickte nur. Sie drückte den Jungen an sich.
    »Sie wissen, dass Sie eine Aufsichtspflicht haben und dass Sie Ihr Kind nicht allein lassen dürfen?«
    »Ich weiß«, sagte die Frau mit schwacher Stimme. »Es war ein Notfall. Kommt bestimmt nicht wieder vor.«
    Charlotte musterte sie besorgt. »Soll ich jemanden für Sie anrufen? Brauchen Sie Hilfe?«
    »Nein, nein. Es ist wirklich alles in Ordnung. Danke.«
    Als Charlotte in ihren Wagen stieg, fühlte sie sich wieder einmal in ihrer Entscheidung bestätigt: keine Beziehung, schon gar keine Ehe und keine Kinder. Sie wollte nicht zu den überforderten Müttern gehören, die ihre Kinder allein ließen und sich dann die bösen Sprüche ihrer ach so gescheiten Mitmenschen anhören mussten.
    Nein, sie wollte niemals Mutter sein! Schon gar nicht so eine Mutter wie ihre eigene!
    Katrin weinte leise in ihr Kopfkissen. Leo schlief bei ihr, und sie wollte ihn auf keinen Fall wecken. Immer wieder strich sie ihm sanft über den Kopf.
    Der junge Stationsarzt hatte ihr gesagt, dass ihr Vater schon im Koma gelegen habe, als er in die Uniklinik gebracht wurde. Durch den massiven Sauerstoffmangel habe er zu diesem Zeitpunkt bereits schwere Hirnschäden erlitten. Trotz intensiver Bemühungen habe schließlich sein Herz aufgehört zu schlagen.
    Als Katrin am Bett ihres toten Vaters gestanden hatte, hatte sie eine große Leere in sich verspürt. Friedlich lag er da, vertraut und gleichzeitig fremd. Sein Gesicht sah wächsern aus, gelbweiß und glänzend. Sie berührte seine Hand und erschrak, wie kalt sie war.
    »Wie kann ein gesunder Mann einfach so ins Koma fallen?«, hatte sie den Arzt mit zitternder Stimme gefragt.
    »Ihr Vater war einundsiebzig Jahre alt. Den meisten mag das heutzutage nicht besonders alt erscheinen, aber solche Sachen passieren leider«, hatte der Arzt geantwortet und von Kreislaufproblemen gesprochen, die ihren Vater wohl schon lange geplagt hatten und die vermutlich die Ursache für den Kollaps gewesen waren.
    Katrin hatte ihrem Vater einen Abschiedskuss auf die Stirn gegeben, und erst als ihre Mutter schluchzend sagte, dass Leo nun keinen Opa mehr habe, war ihr siedend heiß eingefallen, dass Leo immer noch allein im Auto saß.
    Leise stand Katrin auf. Sie wollte noch einmal versuchen, Thomas zu erreichen. Bisher hatte sie nur die Mailbox erwischt.
    Endlich, diesmal meldete er sich.
    »Hey, Schatz!«, rief er mit fröhlicher Stimme. Im Hintergrund hörte sie laute Musik. »Ich hab es bestimmt schon zehn Mal bei dir versucht! Wo warst du denn …?« Ein lautes Rauschen unterbrach ihn. »Ich kann dich kaum verstehen! Wir sind gerade auf einem tollen Empfang. Gibt es was Wichtiges?«
    »Ja«, sagte Katrin und räusperte sich.
    »Was ist denn? Du musst lauter sprechen, sonst höre ich dich nicht.«
    »Mein Vater ist
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