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Schattenfreundin

Schattenfreundin

Titel: Schattenfreundin
Autoren: Christine Drews
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gestorben«, sagte sie tonlos. Plötzlich hörte sie nur noch die Musik. »Thomas? Hast du mich verstanden?«
    »Ja«, antwortete er nur. Sie hörte, wie er tief durchatmete. »Das ist ja schrecklich. Ich werde so schnell wie möglich nach Hause kommen. Es tut mir so leid.«
    »Ja.«
    »Ich melde mich, sobald ich weiß, wann ich ankomme.«
    »Ja.«
    Katrin stellte das Telefon auf die Station und dachte für einen Moment, dass Thomas’ Stimme sich irgendwie merkwürdig angehört hatte.

5
    Am Morgen der Beerdigung hatte Leo Fieber. 38,2. Kein Grund zur Sorge, aber so konnte er nicht mit zum Friedhof. Während Katrin ihren schwarzen Hosenanzug anzog, überlegte sie, ob Leo mit einem Schmerzzäpfchen den Tag überstehen könnte.
    »Das bringt doch nichts«, sagte Thomas, der selbst noch völlig übernächtigt von seiner Lima-Reise wirkte. »Ich finde es sowieso nicht gut, wenn er das alles mitkriegt. Er versteht das schließlich noch gar nicht.«
    Katrin blieb nicht viel Zeit. In einer Stunde begann das Requiem. Wo sollte sie so schnell einen Babysitter herzaubern? Da fiel ihr Tanja ein. Sie würde ihr bestimmt helfen. Kurzerhand rief sie ihre neue Freundin auf dem Handy an.
    »Das ist überhaupt kein Problem«, sagte Tanja sofort. »Heute Nachmittag baut mein Mann mit Ben zusammen die Eisenbahn auf, da kann Leo schön mitspielen. Ich bin in zehn Minuten bei euch und hole ihn ab.«
    Wie gut, dass sie sich auf Tanja verlassen konnte. In den letzten Tagen hatte Katrin oft daran gedacht, wie sehr ihr die Freunde aus Köln fehlten. Da kam ihr Tanja wie ein Geschenk des Himmels vor.
    Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag , sang die Sopranistin auf der Orgelempore, und in der voll besetzten Kirche gab es niemanden, der von ihrem Gesang nicht berührt wurde. Ihre Mutter wirkte ungewöhnlich gefasst, wie Katrin mit einem Seitenblick überrascht feststellte. Die letzten Tage hatte sie sie fast nur weinend erlebt, umso mehr wunderte es sie, dass sie ausgerechnet am Tag der Beerdigung so ruhig war. Vielleicht hat sie sich leer geweint, dachte Katrin. Oder sie will unbedingt Haltung zeigen vor der Trauergemeinde. Das wäre typisch für ihre Mutter.
    Aufrecht schritt sie – ganz würdevolle Witwe eines bedeutenden Münsteraner Bürgers – nach der Trauerfeier hinter dem Sarg her. Selbst als sie am offenen Grab stand und eine rote Rose auf den Sarg warf, verzog sie keine Miene.
    Nach ihrer Mutter trat Katrin ans offene Grab. Tränen liefen ihr über die Wangen, und sie zitterte.
    Wieder sah sie ihren toten Vater vor sich, aufgebahrt in der Aussegnungshalle. Zwei große Kerzen und künstliche Blumengestecke standen zu beiden Seiten des offenen Sarges. Lippen und Augen ihres Vaters waren zugeklebt. Den dunklen Anzug, den man ihm angezogen hatte, hatte er das letzte Mal an Weihnachten getragen. Einen kurzen Augenblick lang sah Katrin ihn am Weihnachtsbaum stehen, wie er die Kerzen anzündete und Leo erklärte, wann das Christkind kommen würde. Jetzt lag er vor ihr, die Hände auf dem Bauch gefaltet. Sein Kopf ruhte auf einem großen weißen Satinkissen, und eine glänzend weiße Decke lag über seinen Beinen. Er sah fremd aus, anders als noch auf dem Sterbebett. Er hatte nichts Menschliches mehr an sich, er wirkte fast wie eine Wachsfigur. Das ist nicht mehr mein Vater, dachte Katrin. Das ist nur noch eine Hülle, die er längst verlassen hat.
    Dann fiel ihr ein, wie sie ein Bild aus der Tasche gezogen hatte, das Leo für seinen Opa gemalt hatte. Er hatte nicht verstanden, dass er seinen Großvater niemals wiedersehen würde, aber er fand es aufregend, dass der Opa nun im Himmel war.
    »Kann Opa fliegen? Wie ein Vogel?«, hatte er Katrin mit glänzenden Augen gefragt.
    »Ich weiß es nicht, mein Schatz. Keiner weiß, wie es im Himmel aussieht«, hatte sie geantwortet. »Aber er ist jetzt beim lieben Gott, und dort geht es ihm gut.«
    Leo hatte ein Bild vom Himmel gemalt. Viele hellblaue Kringel, umgeben von einem großen gelben Kreis, waren auf dem Blatt zu sehen, das Katrin ihrem Vater auf die Brust gelegt hatte.
    »Von Leo«, hatte sie leise gesagt. »Er hat dich lieb, Papa. Wir haben dich alle lieb.«
    Katrin zuckte zusammen, als sie spürte, wie jemand sie am Arm fasste. Sie blickte zur Seite und sah in Thomas’ ernstes Gesicht.
    »Komm jetzt«, sagte er leise.
    Sie nickte nur. Dann warf auch sie eine Rose auf den Sarg.
    Beim anschließenden Leichenschmaus brachte Katrin keinen Bissen
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