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Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)

Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)

Titel: Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)
Autoren: Kathrin Passig , Aleks Scholz , Kai Schreiber
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    Vorwort
    Most ignorance is vincible ignorance. We don’t know because we don’t want to know.
    Aldous Huxley, «Beliefs», 1958
    «Das meiste Unwissen», so schreibt Aldous Huxley, «ist besiegbar.» Wir werden geboren als hilflose Bündel, die keines der Phänomene, die sie umgeben, erklären können. Die Bündel reagieren mit Hilfe eines komplexen Apparates aus Instinkten und Reflexen, der über mehrere Milliarden Jahre in biologischen Organismen entstanden ist, so wie ein Igel sich zusammenrollt, wenn Gefahr droht. Die nächsten 15 bis 30 Jahre verbringen wir damit, uns zusätzlich zu diesem Igelwissen abstrakte Kenntnisse über die Welt anzueignen. Dabei bewegen wir uns in den Fußstapfen vieler anderer vor uns, die mühevoll herausgefunden haben, wie die Dinge zusammenhängen, und ihr Wissen irgendwo für uns hinterlassen haben, zum Beispiel in Form von Symbolen auf Steinplatten, als dicke Bücher oder im Internet.
    Wie weit man dabei geht, bleibt jedem selbst überlassen. Viele geben auf, bevor die Grenzen des menschlichen Wissens in Sicht kommen. Für das, was danach an Unwissen übrig bleibt, ist jeder selbst verantwortlich, oder, um Huxleys Feststellung umzudrehen: Wir wissen nur das, was wir wissen wollen. Den Weg zur Steinplatte oder zum Internet kann man niemandem ersparen. Ein paar von uns erreichen irgendwann den Punkt, an dem keine Steinplatte der Welt mehr weiterhelfen kann, den Punkt, an dem aus privaten Wissenslücken echtes Unwissen wird: die Sorte Fragen, bei der selbst Experten mit den Achseln zucken und «Wissen wir nicht» sagen. Um diese Fragen wird es in diesem Buch gehen.
    Auf eine Art gilt Huxleys Ansage auch bei diesen Problemen. Es gibt immer einen großen Sack voll ungelöster Fragen. Welche wir davon in Angriff nehmen und wie wir mit ihnen umgehen, hat damit zu tun, was wir (alle zusammen) herausfinden wollen, und das wiederum wird von vielen unwägbaren Faktoren bestimmt: von den persönlichen Vorlieben der Forscher und ihrer Geldgeber, den intellektuellen Fähigkeiten der Wissenschaftler, aktuellen Trends, gesellschaftlichen Umständen, technischen Entwicklungen und nicht zuletzt von dem, was die Vorgänger uns an Wissen beziehungsweise Unwissen hinterlassen haben.
    Die Handhabung von Unwissen
    Taucht ein bisher unbekanntes Phänomen vor einem auf, hat der Wissenschaftler mehrere Möglichkeiten, damit umzugehen. Der Philosoph Godehard Brüntrup beschreibt fünf Strategien:
    Steht die Forschung erst am Anfang, kann man einfach abstreiten, dass das Phänomen existiert. Eine beliebte Strategie, beispielsweise bei den Themen «Kugelblitz» und «Weibliche Ejakulation» im «Lexikon des Unwissens» oder →Hot Hand in diesem Buch. Mal wird man damit am Ende recht behalten (den Äther, den Animalischen Magnetismus und das Ungeheuer von Loch Ness gibt es nach heutigem Wissensstand wirklich nicht), mal steht man dumm da, etwa wenn sich – wie im 19. Jahrhundert – herausstellt, dass es sehr wohl Steine gibt, die unter Blitz und Donner aus dem Weltall auf die Erde herabfallen.
    Zweitens kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass das Phänomen zwar existiert, aber egal ist. Diese Strategie spielt im Kapitel →Megacryometeore eine Rolle: Es gibt zu viele Zeitungsfotos von Eisbrocken in Vorgärten, als dass man das Thema leugnen könnte, aber wenn dieses Eis einfach von Flugzeugen abfällt, handelt es sich nur um ein wissenschaftlich nicht besonders interessantes Kuriosum.
    Eine dritte Möglichkeit: Man behauptet, das Phänomen sei real und wichtig, lasse sich aber mit den vorhandenen Theorien erklären. Im Zusammenhang mit dem Thema →Übergewicht wäre das etwa folgende Haltung: Es gibt tatsächlich eine Übergewichtsepidemie, die nicht nur durch wirtschaftliche Interessen, Leichtgläubigkeit und schlampige Statistik zustande kommt, und diese Übergewichtsepidemie gefährdet unsere Gesundheit und die Kalkulation der Krankenkassen. Aber es handelt sich dabei um individuelles Versagen, die Leute fressen halt einfach zu viel, und wenn sie sich gleich ab morgen diszipliniert und korrekt ernähren, kommt alles wieder in Ordnung.
    Die vierte Strategie besteht darin, genau das Gegenteil zu behaupten: Das Phänomen lasse sich ohne wissenschaftlichen Paradigmenwechsel nicht zufriedenstellend erklären. Dieser Ansatz erzeugt viel Unbehagen und schlechte Laune. Die vorhandenen Theorien werden deshalb noch nicht verworfen; oft nennt man das Phänomen eine «Anomalie»
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