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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall
Autoren: R. Scott Bakker
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stürzte hintenüber, rollte aber geschickt ab und kam leicht wieder auf die Beine. Aus seinem heruntergeklappten Visier drang ein Lachen.
    »Wirklich unvergesslich!«, rief er und stürzte sich auf den Mönch.
    Kellhus merkte, dass er unter Druck geriet. Eine Kombination energischer Stöße und Hiebe zwang ihn, von der abgestorbenen Eiche zurückzuweichen. Das Schwertergeklirr des Kampfs drang über die windgepeitschten Höhen, doch der Mönch spürte schwach, dass der entscheidende Moment, der ihm den Sieg brächte, langsam nahte. Aber noch war es nicht soweit.
    Er richtete seine Aufmerksamkeit immer stärker auf diesen winzigen Augenblick und stellte fest, dass sein Gegner gleichzeitig immer unkonzentrierter focht und oft nur noch durch die Luft säbelte. Schließlich ging Kellhus in die Parade, traf die Rüstung der dunklen Gestalt mit Wucht und zerfetzte den trostlosen Umhang, konnte seinem Gegner aber keine blutende Wunde beibringen.
    »Was bist du eigentlich für einer?«, schrie der Nichtmensch wütend.
    Die Fläche, auf der sie fochten, war winzig, doch sie konnten unendlich viele Stellungen einnehmen…
    Kellhus hieb dem Nichtmenschen ins ungeschützte Kinn, und seinem Gegner spritzte Blut auf die Brust, das im Halbdunkel schwarz schien. Ein zweiter Streich schlug ihm das unheimliche Schwert aus der Hand und ließ es übers Eis schlittern.
    Als Kellhus ihn ansprang, stolperte der Nichtmensch rückwärts und fiel der Länge nach hin. Mit einer raschen Bewegung öffnete der Mönch ihm das Visier, hielt ihm das Schwert unter die Nase und stellte ihn ruhig.
    Zwar hatte es aufgehört zu schneien, doch nun ging Eisregen nieder. Der Mönch atmete gleichmäßig und betrachtete die am Boden liegende Gestalt. Sekunden verrannen. Das Verhör konnte beginnen.
    »Du wirst mir jetzt ein paar Fragen beantworten«, befahl Kellhus mit völlig leidenschaftsloser Stimme.
    Der Nichtmensch lachte dunkel.
    »Du bist doch hier die große Frage, Anasûrimbor.«
    Und dann kam das Wort, dieses besondere Wort, das den Geist, kaum hat man es vernommen, aus der Bahn wirft.
    Ein enormer Blitz schleuderte Kellhus wie ein von der Handfläche geblasenes Blütenblatt hintenüber durch die Luft. Er purzelte durch den Schnee, rappelte sich benommen auf und sah fassungslos, wie der Nichtmensch auf die Beine kam, als zöge ihn ein Draht in die Senkrechte. Eine Kugel aus bleichem, wässerigem Licht umgab ihn und ließ den Eisregen zischend verdampfen. Hinter ihm ragte die gewaltige Eiche auf.
    Hexerei? Aber wie ist das möglich?
    Kellhus floh über die Leichen, deren Umrisse noch unterm Schnee sichtbar waren. Er rutschte mehrmals auf vereisten Pfützen aus, schlitterte auf der anderen Seite des Bergplateaus über den Rand und stürzte krachend durch heimtückische Äste in die Tiefe. Mühsam kam er wieder auf die Beine und schlug sich durchs dornige Unterholz. Eine Art Donnerschlag ließ die Luft erzittern, und gewaltige Blitze zuckten durch die Fichten in seinem Rücken. Ein Hitzeschwall brandete über ihn hinweg, und er rannte, so schnell er konnte, die steilen Hänge hinunter. Am Fuß der Berge angekommen, hatte er jede Orientierung verloren.
    »ANASÛRIMBOR!«, tönte eine gespenstische Stimme durch die winterliche Stille.
    »FLIEH, ANASÛRIMBOR!«, dröhnte sie. »ICH WERDE DICH NICHT VERGESSEN!«
    Das Gelächter schwoll zum Sturm. In den Wald hinter ihm schlugen wieder Blitze ein, tauchten das Halbdunkel kurz in grelles Licht und zeigten Kellhus für den Bruchteil einer Sekunde seinen fliehenden Schatten.
    Die kalte Luft brannte in seinen Lungen, doch er rannte weiter davon – viel schneller noch als vor den Sranc.
    Hexerei? Gehört das zu den Dingen, die ich zu lernen habe, Vater?
    Kaum ging die Sonne unter, wurde es bitterkalt. Irgendwo in der Nacht heulten Wölfe. Shimeh, so schienen sie zu sagen, ist zu weit entfernt.

 
     
     
Teil 1
     
     
     
    Der Hexenmeister

1. Kapitel
     
    CARYTHUSAL
     
     
     
    Es gibt nur drei Arten von Menschen:
    Zyniker, Fanatiker – und Mitglieder des Ordens der Mandati
     
    Ontillas: Von der menschlichen Torheit
     
    Der Verfasser hat oft beobachtet, dass Menschen im Vorfeld großer Ereignisse nicht ahnen, was ihr Handeln eigentlich bedeutet. Anders als man vielleicht annehmen mag, liegt dies nicht daran, dass der Mensch blind für die Folgen seines Handelns ist. Es ergibt sich eher daraus, auf wie unsinnige Weise sich aus Belanglosigkeiten Schreckliches entwickeln kann, wenn zwei Menschen sich ins
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