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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall
Autoren: R. Scott Bakker
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er.
    Doch der war verschwunden. Leweth ließ sich in den Schnee fallen, blickte sich suchend um und sah ihn in der Nähe durch den Wald rennen, ein Schwert in der Hand. Der erste Sranc war schon enthauptet, und der Mönch tanzte wie ein bleiches Gespenst durch den verwehten Schnee. Schon fiel ein zweiter Sranc tot zu Boden, und sein Messer flog nutzlos durch die Luft. Die anderen aber umzingelten Kellhus wie lederne Schemen.
    »Kellhus!«, schrie Leweth – vielleicht vor Schmerz, vielleicht in der Hoffnung, sie würden vom Mönch ablassen und sich auf ihn, der praktisch schon tot war, stürzen. Ich würde für dich sterben.
    Doch ein Schemen nach dem anderen fiel in den Schnee, und ein unheimliches, nicht menschliches Geheul drang durch den Wald. Weitere Sranc sanken zu Boden, bis nur noch der großgewachsene Mönch übrig war.
    Der Trapper hatte den Eindruck, er höre seine Hunde in weiter Ferne bellen.
     
     
    Kellhus zog ihn weiter. Da und dort blinkten kleine Schneeflächen in der Morgensonne auf, während die beiden sich durchs Unterholz schlugen. Leweth kam sich vor wie eine Schmerzkugel, deren Mittelpunkt der Pfeil in seiner Schulter war, doch der Mönch war unermüdlich und trieb ihn zu einer Eile, die er sogar unverletzt nur wenige Minuten durchgehalten hätte. Sie kämpften sich durch Schneewehen und über umgestürzte Bäume, taumelten in tiefe Gräben und arbeiteten sich mühsam wieder daraus hervor. Die Arme des Mönchs umgaben ihn wie ein dünnes Eisengeländer und bewahrten ihn wieder und wieder davor, hilflos zu Boden zu stürzen.
    Noch immer hatte er den Eindruck, er höre Hundegebell.
    Meine Hunde…
    Schließlich landete er mit Wucht an einem Baumstamm, der sich wie eine Säule anfühlte, wie eine Rückenlehne zum Sterben. Leweth konnte Kellhus, dessen Bart und Kapuze eisverkrustet waren, kaum vom Geflecht der nackten Äste unterscheiden.
    »Leweth«, sagte Kellhus nun, »du musst nachdenken!«
    Harte Worte! Sie brachten ihn zur Besinnung, wappneten ihn gegen die Angst. »Meine Hunde«, schluchzte er. »Ich kann sie hören.«
    Die blauen Augen seines Gegenübers blieben ungerührt.
    »Die Sranc sind hinter uns her«, sagte Kellhus schwer atmend. »Wir brauchen einen Unterschlupf. Ein Versteck.«
    Leweth ließ den Kopf nach hinten sinken, schluckte, um den Halsschmerz zu lindern, und versuchte sich zu sammeln. »In welche… in welche Richtung sind wir unterwegs?«
    »Nach Süden. Immer nach Süden.«
    Leweth stieß sich vom Baum ab und klammerte sich an die Schultern des Mönchs. Er konnte den Schüttelfrost, der ihn in Wellen überfiel, nicht bremsen, hustete und spähte durch die Bäume. »Wie viele…« – er atmete heftig ein – »… wie viele Bäche haben wir durchquert?«
    »Fünf.«
    »Nach Westen!«, keuchte er, lehnte sich wieder an den Stamm, um Kellhus anzusehen, ließ ihn aber nicht los. Er schämte sich nicht. Nicht in Gegenwart dieses Mannes. »Wir… wir müssen nach Westen«, fuhr er fort und legte die Stirn an die Lippen des Mönchs. »Dort sind Ruinen. Ruinen der Nichtmenschen. Da gibt’s viele… Verstecke.« Er stöhnte. Alles begann sich zu drehen. »Du kannst sie von hier… fast schon sehen.«
    Leweth spürte Schnee und Erde mit Wucht auf sich einprasseln und konnte sich nur noch einrollen. Durch einen Tränenschleier sah er Kellhus zwischen den Bäumen fliehen.
    Nein-nein-nein.
    Er schluchzte. »Kellhus? Kellhus/«
    Was passiert hier?
    »Nein!«
    Doch die großgewachsene Gestalt verschwand.
    Der Hang war tückisch. Kellhus erklomm ihn mit knapper Not, indem er sich an Ästen und Wurzeln hocharbeitete und ab und an kurz hinter umgestürzten Stämmen verschnaufte. Die Nadelbäume standen so eng, dass er oft im Zickzack ansteigen musste, und ihre ringsum ausgreifenden Äste zerrten an ihm. Ein Halbdunkel, das gar nicht zum üblichen Wintergrau passte, lag über der Umgebung.
    Als Kellhus endlich aus dem Wald kam, blickte er mit finsterem Gesicht auf, doch was er höher am Berg sah, stärkte seinen Mut: Aus dem Schnee erhoben sich die steilen Ruinen eines Tors und eine Mauer, hinter der eine abgestorbene Eiche von riesigen Ausmaßen aufragte.
    Aus den dunklen Wolken, die vom Gipfel herunterzogen, fiel in dichten Flocken nasser Schnee, der auf den Kleidern des Mönchs gefror.
    Kellhus staunte, wie groß die Steine des Tors waren. Viele hatten einen Durchmesser wie der gewaltige Eichenstamm. In den Schlussstein war ein verklärtes Gesicht gehauen, dessen leere Augen in den
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