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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall
Autoren: R. Scott Bakker
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kalten Himmel starrten. Der Mönch trat durch den Torbogen, und der Boden wurde etwas flacher. Der Wald, durch den er sich gekämpft hatte, war im Schneetreiben kaum noch zu erkennen. Der Lärm dagegen nahm immer mehr zu.
    Der Baum war schon lange tot. Seine enormen Äste hatten keine Rinde mehr und ragten wie blanke Knochen in die Luft, während Sturm und Niederschlag das ihre taten, dem ungeschützten Baumskelett den Rest zu geben.
    Kellhus fuhr herum, als die Sranc-Bestien mit Geheul aus dem Unterholz brachen und mit großen Schritten auf ihn zugestürmt kamen.
     
     
    Keine Deckung in Sicht. Pfeile schwirrten vorbei. Er pflückte einen aus der Luft und untersuchte ihn: handwarm. Dann zog er sein Schwert, das so raumgreifend funkelte, als wollte es der Eiche Konkurrenz machen. Die Sranc brachen wie eine dunkle Flut über ihn herein, doch er kam ihnen stets um den Bruchteil einer Sekunde zuvor, presste ihnen entsetzte Schreie ab, ließ sie erstaunt zu Boden gehen, hieb ihnen die trunkene Siegesgewissheit aus dem nicht menschlichen Gesicht, ging schließlich die am Boden Liegenden ab und gab denen, die noch lebten, den Todesstoß.
    Die Sranc hatten einfach keine Ahnung von der Heiligkeit des Wie – ihnen ging es nur ums Was. Die Umstände, die Methoden und Techniken, die Art und Weise, in der etwas geschah – all das interessierte sie nicht, weil sie nur gierig waren und allein unmittelbare Befriedigung im Sinn hatten. Er hingegen gehörte zu den Eingeweihten; er war ein Dunyain, und die Ereignisse fügten sich der Macht seines Willens.
    Die restlichen Angreifer ließen die Waffen sinken, und ihr Geheul wurde leiser. Sie umringten ihn für einen Moment und standen mit schmalen Schultern und spitzer Brust da. Ihre Ledersachen stanken, und um den Hals trugen sie Ketten aus Menschenzähnen. Kellhus blieb angesichts dieser Drohung gelassen. Ausgeglichen.
    Dann stoben sie davon.
    Er beugte sich zu einem Sranc hinunter, der sich sterbend am Boden wand, und hob ihm den Kopf an. Das schöne Gesicht des Geschlagenen war wutverzerrt.
    »Kuz’inirishka dazu daka gurankas…«, begann Kellhus.
    Da spuckte ihn das Wesen an, und er nagelte es mit dem Schwert an den Baum. Dann trat er einige Schritte zurück. Die Gestalt zuckte nur noch und röchelte.
    Was sind das für Kreaturen?
    Nun hörte Kellhus hinter sich ein Pferd schnauben und herantraben, griff sich sein Schwert und fuhr herum.
    Durchs dichte Schneegestöber waren Ross und Reiter nur als grauer Umriss zu erkennen. Der Mönch sah zu, wie sie langsam näher kamen, und wich nicht vom Fleck. Seine Haarspitzen hatten inzwischen Eis angesetzt und klirrten leise im Wind. Das Pferd war schwarz und hatte eine Schulterhöhe von mindestens zwei Metern. Der Reiter trug einen langen grauen Umhang, auf den verblichene Applikationen genäht waren – wohl abstrahierte Darstellungen von Gesichtern. Er trug einen schmucklosen Helm, der sein Antlitz verdeckte, und sagte mit kräftiger Stimme auf Kûniürisch:
    »Du bist offenbar nicht kleinzukriegen.«
    Kellhus schwieg wachsam, während der Schneesturm um die Mauern heulte.
    Der Reiter stieg ab, hielt aber misstrauisch Abstand und musterte die reglosen Gestalten, die ringsum am Boden lagen.
    »Wirklich merkwürdig«, sagte er dann und sah auf. Kellhus konnte seine Augen unter dem Visier glitzern sehen. »Du bist bestimmt nicht irgendwer!«
    »Ich bin Anasûrimbor Kellhus.«
    Stille. Der Mönch glaubte, Verwirrung zu spüren, seltsame Verwirrung.
    »Er beherrscht die Sprache«, murmelte sein Gegenüber schließlich, kam näher und musterte ihn scharf. »Nein«, sagte er dann, »nein… du machst dich tatsächlich nicht über mich lustig. Ich erkenne seine Züge in deinem Gesicht.«
    Kellhus schwieg wieder.
    »Und die Geduld eines Anasûrimbor hast du auch.«
    Kellhus betrachtete die Gestalt und merkte, dass auf den Umhang keine stilisierten, sondern echte Gesichter genäht waren, deren Züge sich beim Glätten verzerrt hatten. Und er sah, dass sein Gegenüber kräftig gebaut, schwer gepanzert und – seinem Verhalten nach – völlig furchtlos war.
    »Du bist offensichtlich ein aufmerksamer Beobachter. Wissen ist Macht, was?«
    Der war nicht wie Leweth. Absolut nicht.
    Noch immer heulte der Schneesturm und begrub die Toten langsam unter sich.
    »Solltest du mich nicht fürchten, Sterblicher, da du doch weißt, wer ich bin? Auch Furcht ist ja Macht, denn sie gewährleistet nicht selten das Überleben.« Die Gestalt begann ihn zu
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