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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3
Autoren: Émile Zola
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Kapitel I
    In dem tief en Schweigen und der Öde der breiten Straße zogen die Wagen der Gemüsebauern nach Paris hinauf mit dem rhythmischen Rumpeln der Räder, das von den Fassaden der Häuser widerhallte, die zu beiden Seiten hinter den verschwommenen Reihen der Ulmen schliefen. Ein Karren mit Kohl und ein Karren mit Schoten waren an der Pont de Neuilly zu acht Wagen mit Kohlrüben und Möhren gestoßen, die von Nanterre herunterkamen; und die Pferde gingen ganz von allein mit hängenden Köpfen in ihrer stetigen und trägen Gangart, die durch die Steigung noch langsamer wurde. Oben auf den Gemüseladungen lagen die Fuhrleute unter ihren schwarz und grau gestreiften großen Mänteln auf dem Bauch ausgestreckt und dösten, die Zügel um die Handgelenke gelegt. Immer wenn ein Wagen aus dem Dunkel in den Bereich einer Gaslaterne kam, traf ihr Licht die Nägel einer Schuhsohle, den blauen Ärmel eines Kittels, das Stück einer Mütze, die zwischen der ungeheuren Üppigkeit der roten Möhren und der weißen Kohlrübenbüschel und dem überquellenden Grün von Schoten und Kohl hervorsahen, und vor und hinter ihnen auf dieser Landstraße und auf den benachbarten Straßen ließ entferntes Rattern auf ähnliche Geleitzüge schließen, die die Finsternis und den schweren Schlaf der zweiten Morgenstunde durchquerten, das ganze Heranbranden der Nahrungszufuhr, das mit dem Lärm seines Vorbeiziehens die schwarze Stadt wiegte.
    Balthasar, das allzu wohlgenährte Pferd von Frau François, hielt die Spitze des Zuges. Er ging halb im Schlaf, mit den Ohren spielend, als er plötzlich auf der Höhe der Rue Longchamp stehenblieb, vor Schreck wie angewurzelt mit seinen vier Beinen. Die anderen Tiere stießen mit dem Kopf gegen das Hinterteil der vor ihnen fahrenden Wagen, und unter dem Klirren von Eisenteilen und dem Fluchen der aus dem Schlaf gerissenen Fuhrleute kam der Zug zum Halten. Frau François, die sich an ein Brett gegen ihr Gemüse lehnte, sah hin, konnte aber in dem spärlichen Schein, den links die viereckige Laterne warf und der gerade nur eine der glänzenden Flanken Balthasars beleuchtete, nichts erkennen.
    »He! Mutter François! Vorwärts!« rief einer der Männer, der auf seinen Kohlrüben kniete. »Das ist irgendein besoffenes Schwein …«
    Die Frau hatte sich vorgebeugt und zu ihrer Rechten, fast unter den Hufen des Pferdes, eine schwarze Masse gewahrt, die die Straße versperrte.
    »Man kann doch keine Leute überfahren«, meinte sie und sprang auf die Erde.
    Es war ein Mann, der mit dem Gesicht im Staub und mit ausgebreiteten Armen der Länge nach hingestürzt war. Er schien ungewöhnlich groß zu sein und dürr wie ein vertrockneter Zweig; es war ein Wunder, daß ihn Balthasar nicht mit einem Huf tritt zerschmettert hatte. Frau François hielt ihn für tot; sie kauerte sich vor ihn hin, ergriff seine Hand und fühlte, daß sie warm war.
    »He! Mann!« sagte sie sanft.
    Aber die Fuhrleute wurden ungeduldig. Der Mann, der auf seinem Gemüse kniete, ließ sich wieder mit seiner heiseren Stimme vernehmen:
    »Schlagt mit der Peitsche zu, Mutter François! – Der ist voll, das verdammte Schwein! Schieben Sie ihn doch in den Rinnstein!«
    Der Mann hatte inzwischen die Augen geöffnet. Verstört und ohne sich zu rühren, sah er Frau François an. Sie glaubte, er sei wirklich betrunken.
    »Sie können hier nicht liegenbleiben, Sie werden doch überfahren«, meinte sie zu ihm. »Wo wollen Sie denn überhaupt hin?«
    »Ich weiß nicht …«, antwortete er mit leiser Stimme und fuhr dann mühsam und mit unruhigem Blick fort: »Ich wollte nach Paris, ich bin hingefallen, ich weiß nicht …«
    Sie sah ihn jetzt deutlicher, und er wirkte jämmerlich mit seiner schwarzen Hose und seinem schwarzen Überzieher, die beide ganz zerschlissen waren und seine dürren Knochen sehen ließen. Unter seiner Mütze aus grobem schwarzem Stoff, die er ängstlich bis auf die Brauen heruntergezogen hatte, blickten zwei große braune, eigentümlich sanfte Augen aus einem harten und gequälten Gesicht. Frau François dachte, daß er für einen wirklichen Trinker zu mager sei.
    »Und wohin wollten Sie in Paris?« fragte sie von neuem.
    Er antwortete nicht sofort; dieses Verhör war ihm unangenehm. Er schien zu überlegen. Dann sagte er zögernd:
    »Dorthin, wo die Markthallen sind.« Er war mit unendlicher Mühe aufgestanden und machte Anstalten, seinen Weg fortzusetzen.
    Die Gemüsebäuerin sah, wie er schwankte und sich auf die Wagendeichsel
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