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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3
Autoren: Émile Zola
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ihren Sträußen haftet etwas von ihrer eigenen Person an, von ihren Stimmungen und Leidenschaften, ihren eigenen Launen und Düften, etwas von den jungfräulichen Ungeschicklichkeiten und sinnlichen Gluten eines jungen Mädchens, in dem die Frau zu erwachen beginnt.
    So liegen auf dem Standtisch der Sarriette nicht einfach Berge von Früchten, sondern die Kirschen und Pflaumen, die Aprikosen, Himbeeren und Erdbeeren haben etwas von der Sinnlichkeit ihrer Verkäuferin eingesogen, so sehr gleichen sie den blühenden, glutroten Lippen ihres Mundes, der seidigen Weichheit ihrer Arme und ihres Halses, der Zartheit ihrer Schläfen. Dadurch wird ihr ganzer Stand zu einer großen, nackten Wollust.
    Und Claires Spiel mit den Aalen und Karpfen wird zu einem einzigen ausgedehnten Sexualsymbol, das Zola zusätzlich noch durch die Bemühung olfaktorischer Eindrücke verdeutlicht hat.
    Ebenso verwendet Zola auch andere rhetorische Mittel, wie unübliche Verschränkungen von Menschen und Dingen (similitudo) oder Synästhesien, um seine Sachbeschreibungen zu beleben. Hier berühren sich seine ästhetischen Mittel ganz stark mit denen Baudelaires und der Symbolisten. Dies wird vielleicht in keinem anderen Roman so deutlich wie im »Bauch von Paris«. Bei den Quenus, diesen »Fetten«, schwitzt jeder Gegenstand, schwitzen die Wände, der Boden, die Tische, ja selbst die Fliesen und die Marmorplatten das Fett aus, und mit einer ebensolchen Übertreibung wird Cadine, das kleine Blumenmädchen, zu einem ganzen Bukett verschiedenartiger Düfte, die den einzelnen Teilen ihres Körpers anhaften. Da duftet ihr Rock nach Maiglöckchen und ihr Mieder nach Nelken, ihre Handgelenke nach Flieder und ihr Nacken nach Rosen. Und die starken und wiederum mit sexuellem Bezug gedeuteten Gerüche der Fischhallen haften in den Kleidern der Mutter Méhudin und der schönen Normande, umgeben den armen Florent mit einer einzigen Wolke schwerer Luft, in der es nach Salz und Seefischen riecht, und dieser Geruch ist so durchdringend, daß er die satten Gerüche der Fleischerei einen Augenblick lang zu verdrängen droht. Der penetrante Gestank der Käsehallen aber wird für Zola zu einer ganzen Symphonie, in der die Ausströmungen der einzelnen Käsesorten sich in die verschiedenartigen Klangstufen der einzelnen Instrumente eines Orchesters verwandeln. Diese Käsesymphonie aus dem »Bauch von Paris« ist ebenso berühmt wie die Geruchsorgel aus »Wider den Strich« von Huysmans, dem sie zweifelsohne als Vorbild gedient hat. Aber für Zola erklingen nicht nur die eigentlichen Gerüche, während die Eindrücke seines Tastsinns sich für ihn in Geruchsempfindungen umsetzen, sondern für ihn ertönen auch die Farben, das Rot der Karotten mit den spitzen Tönen kleiner Flöten und das Grün der Schoten und Salatblätter in allen Oktaven der Tonleiter. Und dann wiederum geht dieses Klangbild für ihn in eine Farbsymphonie über, zu deren Intensivierung die seltensten Vögel und Käfer, die exotischsten Blüten und Fische als Bildvergleiche bemüht werden.
    So arbeitet Zola mit allen Sinneseindrücken, um vor dem geistigen Auge des Lesers die wechselnden Reize des Gemüsemarktes oder der Hallen mit Blumen, Fischen, Geflügel, Butter und Käse heraufzubeschwören, so werden seine Sachbeschreibungen zu großartigen Hymnen, deren Lyrismus den Gang der Erzählung durchbricht, oft auch sprengt und manchmal fast zu ersticken droht. Wenn sich trotzdem am Ende des Romans die Worte Claudes »Was für Schurken, diese ehrbaren Leute!« zugleich als Urteil des Lesers über die in dem Buch dargestellte Welt des Pariser Kleinbürgertums zur Zeit Napoleons III. ergeben, so spricht es für die Gestaltungskunst Zolas, die trotz allen Überwucherns der Sachbeschreibungen immer wieder zugleich menschlichgesellschaftliche Wahrheiten zutage fördert.
    Für den Leser unserer Tage hat Zolas Roman »Der Bauch von Paris« eine zusätzliche Dimension gewonnen. Er kann als eine Art poetischer Dokumentation über einen heute nicht mehr vorhandenen Gebäudekomplex gelesen werden, der lange Zeit zu den Wahrzeichen und auch zu den touristischen Attraktionen der Seinestadt zählte. Kein renommierter Stadtführer hätte es versäumt, den Besuchern zu empfehlen, ihren Vergnügungsstreifzug durch das nächtliche Paris in den frühen Morgenstunden bei einer Zwiebelsuppe in einem der kleinen Bistros im Hallenviertel zu beenden und dabei auch einen Blick auf das geschäftige Treiben der Händler und auf
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