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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3
Autoren: Émile Zola
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Zentralgestalt erhoben wurde, mußte seine Schilderung auch alle schöpferischen Kräfte des Schriftstellers voll auf den Plan rufen. So entsteht keine einfache, die Dinge in ihrer sachlichen Nüchternheit wiedergebende, detailgetreue Beschreibung, sondern eine gewaltige, Ausmaß und Farbfülle nach eben an Rubens erinnernde Evokation, in der sich der »wissenschaftlich« vorgehende Naturalist oft noch heilloser in romantische Übertreibungen und pittoreske Schnörkeleien verstrickte als sein großer Vorgänger. Wie tief Zola in Hugoschen Reminiszenzen steckte, zeigt auch sonst eine Reihe von Anspielungen aus den Vorarbeiten, wo nicht nur die Beschreibung des Sachkomplexes an Hugos Vorbild angelehnt wird, sondern auch bei der Skizzierung Marjolins die Gestalt Quasimodos Pate gestanden hat. »Ich brauche in dem Werk eine episodische Gestalt, die der Quasimodo meiner Hallen ist. Ich werde nicht den romantischen Zwerg nehmen, sondern den jungen realistischen Burschen …« Aber schließlich wird der realistische Bursche dann doch nicht ganz so realistisch, sondern eine Art unbekümmert seinen Sinnen lebendes und in seiner Unbekümmertheit unschuldiges, junges, tierhaftes Wesen, dessen Liebe mit Cadine die Idylle inmitten der Hallen darstellt. Ursprünglich sollte diese Idylle zwischen Claude und Cadine spielen, aber Zola hat dann, seinen Plan ändernd, sie auf diese beiden halbwüchsigen Kinder verlegt und Claude vielmehr zum interessierten Zuschauer ihres Lebens und Treibens gemacht. Im Grunde geht es Zola hier wie bei der Anlehnung an Hugo um das Bemühen, seinem Sachkomplex, dessen Sprödigkeit gegen literarische Bearbeitung ihm irgendwie bewußt war, dichterisches Leben einzuhauchen. Deshalb der Versuch, Theokrit, wie Zola sagt, also die Idylle, in die Hallen hineinzunehmen.
    Denn die eigentlich reizvolle literarische Aufgabe ist und bleibt für ihn die gestalterische Bewältigung der Hallen. Das hat Zola auch in seinen Entwürfen deutlich zum Ausdruck gebracht: »Die künstlerische Seite sind die modernen Hallen, diese gigantischen Stilleben der acht Pavillons, dieser ganze Bergrutsch von Nahrung, der sich jeden Morgen inmitten von Paris vollzieht.« Daneben scheinen die beiden anderen Seiten, die historische und die physiologische, die diesen Roman mit allen übrigen der Reihe verbinden, weniger interessant, mehr die Erfüllung eines einmal vorgenommenen Planes. »Die allgemeine Konzeption des Werkes ist folgende: … Meine Rougons und Macquarts sind Begierden. Im ›Glück der Familie Rougon‹ hatte ich ein ganzes Aufbrechen von Begierden. In der ›Beute‹ in der RougonLinie, die nervöse Begierde nach der Million. Im ›Bauch von Paris‹, in der MacquartLinie, die vollblütige Begierde nach schönen Gemüsen und nach schönen Vierteln roten Fleisches … Ich lege also vor allem Nachdruck auf den Platz des Werkes in der Gesamtserie. Es vervollständigt die ›Beute‹ es ist der Beutezug der mittleren Klassen, das brünstige Sichstürzen auf die fette Nahrung und eine schöne, ruhige Verdauung … Dieses Fettwerden, dieses Bauchansetzen ist die philosophische und historische Seite des Werkes.« Die ganze soziale Problematik dieser philosophischen und historischen Seite sucht Zola aber nicht an sich zu durchdringen, sondern in ihrer vergegenständlichten Form, in dem von ihr hervorgebrachten neuen Sachkomplex, in den Hallen, mitzuerfassen. »Der Bauch – der Bauch von Paris, die Hallen, wo die Nahrung zusammenströmt, um über die verschiedenen Viertel zu strahlen – der Bauch der Menschheit und im weiteren Sinne die Bourgeoisie, wie sie in Ruhe ihre Freuden und ihre Durchschnittsanständigkeit wiederkäut und verdaut – schließlich der Bauch im Kaiserreich, nicht der wild aufgeregte Zustand Saccards, der auf der Jagd hinter den Millionen her ist, die brennende Wollust des Börsenspiels, der furchtbare Tanz der Geldstücke, sondern die ausgiebige und tatsächliche Befriedigung des Hungers, das Tier, das in der Raufe sein Heu zermalmt, die Bourgeoisie, die das Kaiserreich dumpf stützt, weil das Kaiserreich ihr morgens und abends das Futter gibt, der volle und glückliche Wanst, der sich in der Sonne bläht und bis zum Beinhaus von Sedan rollt …« So wird ihm dies Bauwerk zum gewaltigen Symbol dieses satten, behäbigen, nach außen hin so anständigen und im Grunde doch so hartherzigen und egoistischen Kleinbürgertums. Zola bedarf dieser symbolischen Überhöhung seines Sachkomplexes, weil sich sonst in
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