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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3
Autoren: Émile Zola
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diesem Roman die breit ausladenden, wuchernden Beschreibungen und die eigentlich menschlichen Begebnisse völlig unverbunden gegenüberstünden.
    Zwar hat es Zola glänzend verstanden, auch in einer ganzen Reihe treffender Einzelgestalten diese ganze spießige Kleinbourgeoisie zu verkörpern, vor allem in der Fleischersfamilie Quenu, dem dicken, gutmütigen, aber in seiner Schwerfälligkeit etwas beschränkten Charles Quenu und der schönen, stattlichen Lisa, dieser ehrbar gewordenen Vertreterin der MacquartLinie, die jeden Gedanken an Not und soziales Unrecht, der ihre heilige Ruhe bedrohen könnte, wie eine ansteckende Krankheit von sich weist und um ihrer Ruhe willen, alle Anständigkeit vergessend, auch vor einer Schurkerei nicht zurückschreckt. Das Gespräch, das sie gegen Ende des dritten Kapitels mit ihrem Mann führt, als sie durch Charles’ unbesonnene Teilnahme an den politischen Abenden bei Lebigre ihr persönliches Glück gefährdet glaubt, entwickelt den ganzen Katechismus des kleinbürgerlichen politischen Glaubens und Lebensideals. Anständige Leute zu sein heißt, niemanden auszuplündern und niemanden umzubringen. Die anderen kümmern einen nicht; sollen sie Lumpen sein, wenn sie wollen. Man unterstützt die Regierung, die den Handel in Gang hält. Wenn sie üble Geschichten macht, so geht einen das nichts an. Selbst macht man ja keine, also braucht man sich auch nicht darum zu sorgen. Man bleibt vielmehr hübsch zu Hause, schläft schön, ißt gut, verdient sein Geld und hat im übrigen ein ruhiges Gewissen. Wenn Frankreich in der Patsche sitzt, so wird es sich schon selbst heraushelfen. Hauptsache ist, daß man im Alter in Ruhe seine Zinsen in der Gewißheit verzehren kann, sie ehrlich verdient zu haben. Aber wenn diese Zinsen bedroht sind, dann gibt es keine Rücksichtnahme, auch wenn es sich um den eigenen Schwager handelt. Dabei gehört dieser lange, hagere Florent nicht nur als Verwandter zu ihnen, sondern eigentlich ist er dem objektiven ideologischen Gehalt seiner sozialen Lehren nach nur eine andere Spielart von Kleinbürger, ein Kleinbürger, der nicht arriviert ist und der deshalb seine unerfüllten Jugendsehnsüchte im Traumland philanthropischer Utopien zu verwirklichen sucht. Zola betont den vagen, verschwommenen Charakter von Florents Vorstellungen mehrfach. Florent ist ein persönlich bescheidener, aufopferungsvoller, aber weltfremder Mensch, ein Phantast, der durch eine unglückliche Verkettung von Zufällen zum politischen Märtyrer geworden ist und nun, einmal aus der Bahn geworfen, nicht mehr den Anschluß an ein »normales«, geruhsames bürgerliches Leben zu finden vermag, sich in aller Friedlichkeit und Naivität dabei jetzt wirklich in politische Abenteuer stürzt, ohne sich der tatsächlichen Tragweite seines Handelns bewußt zu werden. Im Grunde geht es bei dieser politischen Abendrunde in Lebigres Lokal um ein paar wild gewordene Spießer, die Revolution spielen wie kleine Jungen Indianer. Das hat Zola mit feiner Ironie herausgearbeitet, vor allem in der Gestalt des bramarbasierenden Gavard. Nicht einmal die Polizei nimmt sie wirklich für voll. Wenn man sie trotzdem am Schluß verhaftet, so weniger weil sie dem Kaiserreich tatsächlich gefährlich erscheinen oder in einem ernsten sozialen Kampf tragisch scheitern, als weil sie vielmehr die heilige Ruhe ihrer eigenen Standesgenossen unliebsam stören und deshalb von ihnen ausgestoßen werden wie Aussätzige. So wird vor allem Florent, dessen Harmlosigkeit Zola in mannigfachen Einzelzügen immer wieder betont – in der Geschichte mit dem Vogel, dem er noch bei seiner Verhaftung die Freiheit gibt, in der Charakterisierung durch Claude usw. –, zum unschuldigen Opfer der »ehrbaren« Leute, der »Fetten«, wie sie nach Claudes Klassifizierung heißen würden.
    Aber mit dieser Scheinsoziologie, dieser Einteilung der Gesellschaft in Fette und Magere, hat Zola den »wissenschaftlichen« Charakter seiner Aussage eingegrenzt. Aus der Charakterisierung seiner Gestalten mußte klarwerden, daß es sich bei den braven Quenus und den randalierenden Gasthauspolitikern nur um zwei Spielarten der gleichen Spezies Kleinbürger handelte, nach Claudes Einteilung aber gehören sie plötzlich zu zwei bitter miteinander ringenden Lagern, die sich unversöhnlich wie zwei feindliche Klassen gegenüberstehen. Mit dieser künstlichen Konstruktion verdeckt Zola die tatsächlichen, im gesellschaftlichen Bereich ringenden Kräfte. Er bedarf dieser
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