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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3
Autoren: Émile Zola
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diesem oder jenem Bereich gebraucht wird, wird für den Leser die ganze Korona dieses Begriffes mit evoziert. Dieses Bild vom Bauch wird für Zola förmlich zur fixen Idee. Überall, wo er hinsieht, ob auf die Auslage des Fleischerladens oder auf die fetten Puten und Schweinehälften, die Fische oder Butterberge, die Pflaumenkörbe, die Häuserfassaden, die Marktweiber oder die schöne Lisa – überall sieht er Bäuche, bald gelb und grün, bald fetttriefend und aufgeschlitzt, bald riesig gebläht, bald sieghaft triumphierend, bald wiederum den ganzen Körper aufschluckend, so daß Schultern und Brüste in einer einzigen Rundung zu verschwinden scheinen. Und immer steht dahinter der Gedanke an den fruchtbaren, gesegneten Leib, wodurch all diese Bilder von einem leichten erotischen Prickeln begleitet werden. Dieses Erotisieren der Sprache ist überhaupt eines von Zolas Hauptmitteln, um die leblosen Gegenstände gleichsam in menschliche Wesen zu verwandeln und dem Leser in den Sachbeschreibungen einen Ersatz für eine spannende menschliche Handlung zu bieten. Wie ein hauchdünner, in seiner Durchsichtigkeit aber verwirrender Schleier zieht es sich über alle Dinge – ganz gleich ob Zola dadurch die an sich trockene und gewaltsame Antithese »Fette – Magere« in die plastischere Vorstellung des schüchternen, mageren, in den dicken, sich wölbenden Bäuchen und märchenhaft vollen Busen der Marktfrauen versinkenden Florent überführt oder ob er primär dem sexuellen Bereich zugehörende Ausdrücke auf andere Bezirke überträgt oder die Blumen und Lungenstücke, die Früchte und Fische, selbst den Türknopf zu Lebigres Lokal als menschliche Körperteile sieht.
    Wenn Claire in der Kirche, verzweifelt über Florents vermeintlichen Gefühlswechsel ihr gegenüber, weint, so wird sie von einem Gefühlssturm geschüttelt wie eine Frau, die sich hingibt. Und die Kirche selbst ist von lauschigen Schatten erfüllt, von Frauen, die, in diese dunkle Wollust versunken, auf ihren Stühlen förmlich vergehen. Wenn Fräulein Saget Florent bespitzelt, so genügt es Zola nicht, ihre große Neugierde zu konstatieren, sondern er läßt uns erleben, wie diese Neugierde sie wie eine alle anderen Gefühle verdrängende Leidenschaft packt, sich ihres Gegenstandes zu bemächtigen sucht, wie sie gleichsam, von einem brünstigen Verlangen getrieben (wobei man wieder dieses »en rut« aus seiner sonstigen Verwendungssphäre heraus zu verstehen suchen muß, wo es meist den Zustand der allen Lüsten hingegebenen Gesellschaft des Kaiserreiches bezeichnet), ihn mit ihren Blicken verfolgt, ihn förmlich entkleidet, von Kopf bis Fuß durchforscht und sich nicht genugtun und nicht befriedigen kann. Und als sie dann endlich Florents Geheimnis entdeckt hat, so heißt es in Zolas Formulierung wieder, daß sie den Bruder Quenus nun besaß, schlagartig, ganz, und ihr dieses Besitzen eine unerhoffte Befriedigung verschaffte.
    Solange diese dem erotischen Bereich zugehörenden Termini zur Charakterisierung psychologischer Vorgänge seiner Figuren verwendet werden, sind sie legitim, auch wenn es sich um ungewöhnliche Vorgänge und Bilder handelt. Die eigentliche ideologische Funktion dieser Erotisierungen wird aber in dem Augenblick offensichtlich, wo Zola sie in die reinen Beschreibungen einführt.
    Da verwandeln sich die Blätter der Kohlköpfe in zartes, weißes Fleisch, hängen in Lisas Auslage nicht einfach frische Lungenstücke, sondern Spitzen und Faltenwürfe rosigen, zarten Fleisches, die an geschürzte Röcke von Tänzerinnen gemahnen, unter denen die Hüfte einer schönen Frau durchschimmert. Und dabei vermag die deutsche Übersetzung des Wortes »chair« noch nicht einmal annähernd den ganzen Nuancenreichtum des französischen Ausdruckes wiederzugeben, in dem die Vorstellung von Fleisch und Haut, von Weichem und Zartem zugleich mitschwingt und in jedem Augenblick gleichermaßen auch die rein sexuelle Bedeutung des Wortes im biblischen Sinne mit gegenwärtig ist. Durch solche Assoziationen aber beginnen die starren Kohlköpfe sich zu regen, werden sie geradezu eine sinnliche Versuchung wie der metallene Türknopf bei Lebigre, der für Florent die Weichheit eines Frauengelenkes annimmt.
    Nicht immer läßt Zola so wie hier die Gegenstände von sich aus Leben gewinnen. Oft läßt er auch das Leben der Menschen, die mit ihnen beruflich oder zufällig in Berührung stehen, in sie überströmen.
    So verkauft Cadine nicht einfach Blumen, sondern
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