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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3
Autoren: Émile Zola
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Konstruktion aber andererseits um der Einheit der künstlerischen Durchkomponierung willen. Denn dieser Gegensatz »MagereFette« fügt sich zwanglos dem Bild vom Bauch, der symbolisch aufgeladenen Metonymie für das Kleinbürgertum, an.
    Die Scheinsoziologie »MagereFette« wiederholt zudem in einem Teilbereich die rhetorische Operation des Romantitels »Bauch von Paris«: die Stadt Paris steht metonymisch für die Bewohner und ein Körperteil dieser Bewohner metonymisch für die Hallen, das Zentrum der Lebensmittelversorgung der Pariser. Diese doppelte Metonymie wird ihrerseits zur symbolisch verwandten Metapher für das satte, behäbige Kleinbürgertum des Second Empire. Je loser die Verbindung der beiden Teile des Werkes, dieser fast ins Melodramatische abgleitenden Polizeigeschichte und der alles Normalmaß übersteigenden lyrischen Sachsymphonien, ist, um so mehr muß Zola versuchen, mit rein ästhetischen Mitteln sie fester zu gestalten.
    Dieser innere Bruch des Werkes ist Zola schon von der zeitgenössischen Kritik vorgeworfen worden, er ist eine notwendige Folge seiner ästhetischen Konzeption, die mit der Reduzierung der Handlung auf gesellschaftlich wenig relevante, banale Alltagsgeschichten auch das Auswahlprinzip für die Beschreibung im Gegenständlichen verliert und die Banalität der Fabel, des eigentlichen, menschlichen Geschehens durch eine oft fast gewaltsame Poetisierung der Dinge ersetzt. Sicher hat Zola im »Bauch von Paris« eine ganze Anzahl scharf beobachteter Einzelcharaktere gezeichnet. Frau Lecœur, die Saget, die Sarriette, die alte Mutter Méhudin, die schöne Normande sind Gestalten voll echten Lebens. Zola kannte die Mentalität dieser Menschen und hat sie, wenn auch oft nur schlaglichtartig, richtig beleuchtet.
    Aus der einen Szene nach dem Streit der Normande mit Lisa, wo die Fischhändlerin auf die Lecœur, die Sarriette und Fräulein Saget stößt und sie nun gemeinsam über die Nachbarin herziehen, sich dann nacheinander trennen und die Zurückbleibenden jeweils noch schnell eine abfällige Bemerkung über die Weggehende anbringen, spricht mehr echte Menschenkenntnis und psychologischer Scharfblick als aus mancher seitenlangen Darstellung. Doch bedeutet ein Eingrenzen der Gestaltung auf die Herausarbeitung solch episodischer Züge ein Verhaftetbleiben an der Oberfläche der Erscheinungsmomente. Es ist immer ein mehr oder weniger ausschnitthaftes Erfassen bestimmter Seiten und Eigenschaften in einem mehr oder weniger banalen Zusammenhang.
    Zola hat überhaupt die ganze Welt seines Romans künstlich aus dem Leben der übrigen Stadt Paris herauspräpariert. Sicher gibt es ein paar notwendige Ortsangaben, z.B. über die Umgebung von Paris, vor allem als Florent mit Frau François nach Paris hineinfährt und umgekehrt mit ihr und Claude zusammen hinausfährt. Aber im Grunde hat dieser Ausflug in die Umgebung eine Kontrastfunktion zu erfüllen, das ungesunde Paris, die gesunde Umgebung – eine Parallele zur Grundantithese des Romans: FetteMagere, die in abgewandelter Form auch im Farbgegensatz schwarzweiß bei den beiden Brüdern auftritt. Mit dieser einen Ausnahme, Ankunft Florents und seinem Ausflug zu Frau François, jedoch bewegen sich die Menschen fast nur im Hallenviertel. Der Spaziergang Florents kurz vor der Schlußkatastrophe, der Weg Lisas zur Polizeipräfektur bleiben episodisch. Das Leben, Handeln, Sichbewegen der Menschen ist gleichsam in den Teufelskreis der Hallen gebannt. Das übrige Paris existiert nur in ihm, und durch ihn. Zwar wird auch von den Tuilerien gesprochen und den schwelgerischen Gastereien des Kaiserreiches – aber faßbar werden sie im Roman dadurch, daß die Tafelreste hier in den Hallen verkauft werden. So öffnet sich der Blick immer nur auf einen Sektor, der irgendwie in das Leben der Hallen hineinreicht.
    Diese Isolierungstechnik gehört zu den Eigenheiten des Künstlers Zola. Es ist bekannt, daß er bei den Vorarbeiten, dem Materialsammeln für einen Roman, nur jene Vorgänge der Außenwelt bewußt als Künstler aufnahm, die mit dem Komplex, mit dem er sich gerade beschäftigte, unmittelbar in Verbindung standen, daß es ihm aber unmöglich war, zugleich vielleicht Studien für die Börse zu treiben und das Leben der Marktfrauen, in einem anderen Zusammenhang betrachtet, festzuhalten – eine Eigenheit, die zweifellos weniger auf persönliche Veranlagung als auf Zolas Schaffensmethode zurückzuführen ist Der Naturalist will die einzelne
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