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Schalck-Golodkowski: Der Mann, der die DDR retten wollte (German Edition)

Schalck-Golodkowski: Der Mann, der die DDR retten wollte (German Edition)

Titel: Schalck-Golodkowski: Der Mann, der die DDR retten wollte (German Edition)
Autoren: Frank Schumann , Heinz Wuschech
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Regierungsbildung beauftragt, schreibt Maximytschew über die Reaktion seines Chefs Kotschemassow: »Die Wahl Hans Modrows überraschte ihn, wie übrigens die meisten Beobachter.«
    Auch darin scheint Maximytschew zu irren. »Dass für ihn die Wahl Modrows zum Ministerpräsidenten überraschend kam, wundert mich«, sagt Krenz. »Auch darüber hatte ich mit Kotschemassow gesprochen.«
    Diese »Überraschung« wurzelt vielleicht auch in der Unkenntnis über eine eigene Geheimdienstoperation, die unter der Bezeichnung »Lutsch« seit einigen Jahren über Anatoli Nowikow läuft. Der Leiter der Außenstelle des KGB in Berlin-Karlshorst war unter Gorbatschow in diese Funktion gekommen und beauftragt, sogenannte Einflussagenten zu rekrutieren, also Persönlichkeiten aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zu gewinnen, die die DDR im Sinne Moskaus beeinflussen sollten.
    Die Langzeitoperation »Lutsch« begann schon vor Jahrzehnten, 1974 war die dafür zuständige KGB-Abteilung in Karlshorst in den Rang einer Direktion erhoben worden. Ihr Augenmerk galt vornehmlich den Stimmungen im Lande, in der SED, den inoffiziellen und privaten Verbindungen in die Bundesrepublik. Erst als in der Sowjetunion der von Gorbatschow losgetretene Um-und Abbruch von der Honecker-Führung zunehmend kritischer gesehen wurde und erkennbar war, dass Berlin die Gefolgschaft verweigerte, begann Karlshorst konspirativ mit »Lutsch« aktiv zu werden. In späteren Veröffentlichungen wurden Namen genannt wie Markus Wolf, Hans Modrow, Klaus Höpcke und André Brie, die aber ausnahmlos den Darstellungen widersprachen. Sie seien weder diesbezüglich kontaktiert noch informiert worden. Hans Modrow schreibt in seinen Erinnerungen (»Ich wollte ein neues Deutschland«, 1999), dass es sich um eine Ente handele, die von zwei namentlich bekannten West-Journalisten in die Welt gesetzt worden sei. Laut Reuth und Böhnke sei am 18. Juni 1987 im Beisein des Vize-Chefs des KGB, Wladimir Krjutschkow, bei Manfred von Ardenne mit Hans Modrow und Markus Wolf in Dresden ein Komplott zum Sturz Honeckers geschmiedet worden. Diese Lüge sei später von anderen kolportiert worden, insbesondere Schabowski habe zu deren Verbreitung maßgeblich beigetragen, so Modrow.
    Krenz pflichtet ihm diesbezüglich bei: Es stimme zwar, dass Krjutschkow 1987 in Dresden gewesen sei, »aber erstens nicht mit Markus Wolf, sondern mit Werner Großmann, und zweitens waren sie nicht bei Hans Modrow, sondern bei Manfred von Ardenne.« Da nämlich der 1. Sekretär des Bezirksleitung der SED, Hans Modrow, nicht im Dienst gewesen wäre, sei der KGB-Mann vom 2. Sekretär empfangen worden.
    Aus der Tatsache nun, dass Generaloberst a. D. Markus Wolf im Juli 1989 in Moskau nicht nur Gespräche mit hochrangigen KGB-Mitarbeitern, sondern auch mit Spitzenfunktionären der KPdSU wie Portugalow, Koptelzew und Falin führte, leiteten später manche den spekulativen Schluss ab, dass Wolf nicht nur für »Lutsch« gewonnen, sondern in der Nachfolge Honeckers gar Generalsekretär werden sollte. Wolf wies solche Spekulationen in einem Interview mit dem
Neuen Deutschland
am 10. Juli 1990 zurück, er sei nie von einer Gruppe »Lutsch« angesprochen worden. »Damit es keine Missverständnisse gibt: Ich bin nie direkt in irgendeiner Weise ermutigt worden, als Gorbatschow-Mann eine innere Opposition zu bilden.«
    Es gibt Äußerungen, die sowohl bestätigen als auch dementieren, dass Wolf Honecker habe beerben sollen. So heißt es, dass die Politbüromitglieder Werner Krolikowski und Willi Stoph wiederholt bei Gorbatschow auf eine Ablösung Honeckers gedrungen hätten, doch laut Iwan Kusmin, von 1984 bis 1991 Leiter der Informationsabteilung des KGB in Berlin, habe Gorbatschow auf solche Ansinnen nie reagiert. Als Politbüromitglied Werner Krolikowski beispielsweise Ende 1986 einen solchen Vorstoß bei Kotschemassow führte und Moskau aufforderte, die gesamte Führung der SED auszuwechseln, entgegnete dieser: »Die Zeiten sind vorbei, als wir Generalsekretäre absetzten und ernannten.« (vgl. Kotschemassow, »Meine letzte Mission«, 1994)
    Nicht nur Egon Krenz sieht das alles ein wenig anders, ihm ist ohnehin zuviel Verschwörungstheorie und Geheimdienstwichtigtuerei bei den Darstellungen dieser Vorgänge im Spiel. Natürlich sei selbst unter Gorbatschow die Souveränität der SED und der DDR unverändert eine sehr kontrollierte, um nicht zu sagen eingeschränkte gewesen.
    Auch Generalleutnant a. D. Pawel A.
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