Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schängels Schatten

Titel: Schängels Schatten
Autoren: Oliver Buslau
Vom Netzwerk:
weißt du auch?«
    »Wie du siehst.«
    »Worum geht es, Carola? Was ist los?«
    »Ich will darüber am Telefon nicht sprechen.«
    Er nahm die Finger von den Tasten und machte eine Faust. Irgendetwas störte ihn an dem Gespräch. Er wusste nur nicht, was. »Dann tut es mir Leid. Ich kann auf meine Arbeit im Hotel nicht verzichten.«
    »Hast du nicht mal Zeit, eine alte Bekannte zu besuchen?«
    Sicher, dachte Mike. Warum auch nicht. Es war doch nur Carola. Merkwürdig, dass er so ein komisches Gefühl hatte.
    »Ich müsste sehen, wie ich das mit meiner Arbeit einrichten kann.«
    »Willst du eine halbe Million Dollar verdienen?«, sagte sie plötzlich, und Mike dachte, er hätte sich verhört. Doch im selben Moment verstand er, was sie meinte. Trotzdem zwang ihn irgendetwas in ihm, den Erstaunten zu spielen. Das Thema zu ignorieren.
    Er lachte kurz auf. »Bist du reich? Hast du einen Job für mich? Soll ich bei deiner Hochzeit Klavier spielen, oder was?«
    »Willst du oder willst du nicht?«
    »Hast du denn so viel Geld?«
    »Ich nicht. Wir haben es.«
    »Wir? Soll das heißen …?«
    »Ganz genau das heißt es. Das Geld von damals. Du weißt, was ich meine.«
    »Ja«, murmelte er.
    »Es ist genau eine Million Dollar. Die Hälfte davon gehört dir.«
    In Mikes Kopf tauchten Bilder auf. Die Gestalt im dunklen Wasser. Die unnatürlich weißen Hände, die sich nach dem Ufer auszustrecken schienen. Das Geld im Kegel der Taschenlampe. Grünliche Papierbündel …
    »Woher weißt du eigentlich, dass es eine Million Dollar war? Wir sind doch gleich abgehauen. Oder täuscht mich da die Erinnerung?«
    »Ich weiß es, weil ich das Geld gezählt habe, Mike.«
    »Daran erinnere ich mich gar nicht.«
    »Das kannst du auch nicht. Ich habe es allein getan.«
    Mike dachte nach. »Moment, Moment! Das Geld ist verschwunden. Ich habe doch noch versucht, es zu finden. Und es war weg.«
    »Natürlich war es weg. Jemand anderes hatte es schon genommen.«
    »Und wer soll das gewesen sein? Die Polizei?«
    »Ich war es. Ich habe den Koffer damals versteckt.«
    »Was?«
    »Du hast richtig gehört.«
    »Aber das verstehe ich nicht …«
    »Es ist, wie ich gesagt habe.«
    »Aber warum? Und wo?«
    Carola wartete mit der Antwort, als wollte sie Mikes Erstaunen auskosten.
    »An einem Ort, an den ich es gebracht habe. Und an dem es heute noch ist.«
    *
    Er rollt die Seite nach unten und sucht die Absenderadresse. Dann versteht er den Zusammenhang.
    Es ist eine Frau, die da geschrieben hat, und sie will eine bestimmte Information.
    Sein Blick wandert vom Bildschirm weg, durch das Fenster hinaus auf die sonnenbeschienene lange Zufahrt. Doch der alte Mann sieht weder den Weg, der sich auf das Haus zuschlängelt, noch die Bäume noch den blauen Himmel darüber. Sein Blick geht in die Vergangenheit.
    *
    Verrückt, dachte Mike. Carola musste verrückt geworden sein. Das war die einzige Erklärung.
    In der ersten Verwirrung hatte er nicht darüber nachgedacht, aber jetzt war es ihm klar. Warum sollte jemand mehr als zwanzig Jahre lang einen Koffer mit Geld verstecken? Sogar wenn Carola das Geld damals genommen hätte – was Mike stark bezweifelte –, dann hätte sie es doch sicher ausgegeben! Wie jeder normale Mensch.
    Er hatte am Sonntagabend wie gewohnt in der Bar gespielt, sich dann die Woche frei genommen, und jetzt – am Montagnachmittag – war er in Richtung Koblenz aufgebrochen.
    Aus den Lautsprecherboxen in Mikes kleinem Peugeot tröpfelte langsame Musik. Glenn Gould spielte den Anfang der »Goldberg-Variationen«. Für Mike war es immer wieder ein Wunder, wie man dieses einfache Liedchen so spielen konnte – so meditativ, so ruhig und trotzdem so spannungsgeladen, dass man jeden einzelnen Ton als Erlösung empfand.
    Als Carola den Unfall erwähnt hatte, war ihm wieder eingefallen, was damals passiert war. Carola hatte die Ferien mit ihren Eltern irgendwo im Süden verbracht und war beim Klettern schwer verunglückt.
    Waren davon vielleicht irgendwelche Schäden zurückgeblieben? Vielleicht hatte sie ein psychisches Problem? Wie dieser Mann, der einmal in der Hotelbar aufgetaucht war und jedem erzählt hatte, er sei der Bodyguard von Elvis Presley. Und der mit verschwörerischer Miene behauptet hatte, der »King« habe anonym die teuerste Suite im Haus gebucht. Alle hatten den Kopf geschüttelt und den Mann einfach reden lassen. Leider hatte er dann aber verlangt, dass Mike »Rock around the Clock« von Elvis spielen sollte. Als Mike
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher