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Schängels Schatten

Titel: Schängels Schatten
Autoren: Oliver Buslau
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hatte. Er sah sich schon mit dem strengen alten Herrn konfrontiert, der ihm wie früher verkünden würde, Carola sei für ihn nicht zu sprechen, als sie sich meldete.
    »Zerwas«, kam es aus dem Hörer.
    Ihre Stimme klang leise, schwächer, als er sie in Erinnerung hatte.
    »Hallo, Carola, hier ist Mike.« Sein Mund war trocken.
    »Ah, Mike. Grüß dich«, sagte sie, als hätten sie erst gestern das letzte Mal miteinander gesprochen.
    »Hallo.« Er setzte sich auf den Klavierhocker. In der Leitung entstand eine Pause. Was sollte er sagen? »Wohnst du in Koblenz?«, fragte er einfach.
    »Jetzt wieder, ja. Seit ein paar Wochen.«
    »Ich wohne in Düsseldorf.«
    »Ich weiß.«
    Mike hatte darüber nachgedacht, was sie mit dem Zusatz, es sei dringend, gemeint haben könnte. Irgendetwas hielt ihn jetzt davon ab, direkt danach zu fragen. Deswegen sagte er: »Wie geht’s dir denn so?«
    »Den Umständen entsprechend gut.«
    »Und was machst du?«
    »Ach …« Sie stockte und schien nachzudenken. »Ich bin wieder in meinen alten Job zurückgegangen.«
    Mike wusste nicht, was ihr alter Job war. Offenbar dachte Carola gar nicht daran, dass sie sich aus den Augen verloren hatten, bevor Jobs – ob alt oder neu – in greifbarer Nähe gewesen waren.
    Mike fiel die Sache mit dem Unfall ein. »Du warst krank«, sagte er.
    »Das ist lange her.«
    »Aber du hast es gut überstanden.«
    »Ziemlich gut sogar. Ich kann arbeiten und so.«
    »Was macht die Kletterei?«
    »Damit ist es vorbei.«
    »Das tut mir Leid.«
    »Ich komme schon zurecht.«
    Mike versuchte das Gefühl von Fremdheit loszuwerden, das ihn beschlichen hatte. Verdammt, es war nur Carola, mit der er sprach. Seine alte Freundin. Hinter der er als Teenager her gewesen war. Jeder hatte so eine Geschichte erlebt. Oder auch mehrere. Er riss sich zusammen.
    »Du hattest angerufen«, sagte er. »Was gibt’s denn?«
    »Ich wollte dir was erzählen.«
    »Kein Problem. Leg los.«
    »Ich glaube, das geht nicht so gut am Telefon.«
    »Hm.«
    »Es ist so …«
    »Ja?«
    »Eigentlich wollte ich dich bitten, ob wir uns nicht treffen könnten. Hier in Koblenz. Ginge das?«
    »Weißt du, ich habe nicht viel Zeit …«
    »Musst du oft spielen?«
    »Was?«
    »Du spielst doch Klavier, oder?«
    »Woher weißt du das?«
    »Das hast du damals schon getan. Warum sollte es jetzt anders sein?«
    »Du hast Recht. Ich spiele Klavier. Woher weißt du eigentlich, dass ich in Düsseldorf wohne?«, fragte er.
    »Ich hab deine Nummer aus dem Internet.«
    »Gibt’s so wenig Leute in Deutschland, die Michael Engel heißen?«
    »Es gibt eine ganze Menge«, sagte sie. »Aber es gibt nur einen, der im Hotel Bergischer Hof in Düsseldorf spielt.«
    »Bist du im Hotel gewesen?«
    »Nein.«
    »Woher weißt du dann, wo ich arbeite? Ist dir eigentlich klar, wann wir uns das letzte Mal gesehen haben?«
    »Im Frühjahr 1982. Da haben wir jedenfalls das letzte Mal miteinander gesprochen. Vor dem Musiksaal im Gymnasium auf der Karthause.«
    »Genau.« Mike war überrascht. So detailliert hätte er das nicht mehr gewusst.
    »Siehst du. Und ich weiß jetzt, dass ich nicht mit dem falschen Michael Engel spreche.«
    »Und wer hat dir die Sache mit dem Hotel erzählt?«
    »Das erkläre ich dir später. Also – können wir uns treffen oder nicht?«
    Mike zögerte. »Wann denn?«, sagte er. »Wenn überhaupt, geht es nur tagsüber. Abends muss ich arbeiten.«
    »Du arbeitest unregelmäßig.«
    »Bist du Privatdetektivin – oder so was geworden?«
    »So was Ähnliches, ja«, sagte sie ernst.
    »Klingt ja sehr geheimnisvoll.« Mike dachte nach. »Ich könnte morgens kommen und am Spätnachmittag wieder fahren. Dann kann ich ohne weiteres abends um acht wieder in der Bar am Flügel sitzen.«
    »So geht das nicht.«
    »Wieso? Du hast doch gerade gesagt, ich soll nach Koblenz kommen …«
    »Es könnte sein, dass du mehrere Tage bleiben musst.«
    »Was?«
    »Es ist alles vorbereitet. Du kannst hier im Gästezimmer übernachten.«
    »Im Haus deiner Eltern?«
    »Die sind seit Jahren tot.«
    »Beide?«
    »Mein Vater hatte einen Herzinfarkt. Drei Jahre später wurde bei meiner Mutter Darmkrebs festgestellt. Es hat dann nicht mehr lange gedauert. Das Haus gehört jetzt mir.«
    Mike fuhr mit der Hand nervös über die Klaviertastatur. Die Finger glitten über die glatte Fläche. »Aber warum soll ich so lange nach Koblenz kommen? Ich bin ewig nicht mehr da gewesen.«
    »Seit du durchs Abitur gefallen bist. Das war 1984.«
    »Das
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