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Schängels Schatten

Titel: Schängels Schatten
Autoren: Oliver Buslau
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wahrheitsgemäß einwandte, das sei ein Titel von Bill Haley, war der Mann schlagartig aggressiv geworden. Milan hatte schließlich die Polizei holen müssen.
    Auch dass Carola so viel über ihn wusste, befremdete Mike. Und dann diese Andeutung auf ihren Beruf. So etwas Ähnliches wie Privatdetektivin. Was sollte das sein?
    Glenn Gould begann die erste Variation. Plötzlich marschierte die Musik voran, sie klang hell, strahlend, stolz und entschieden.
    Es hatte keinen Sinn, sich Gedanken zu machen. Mike würde mit Carola reden. Und wenn ihm irgendwas komisch vorkam, konnte er jederzeit wieder nach Hause fahren.
    Während die »Goldberg-Variationen« dem krönenden Schluss mit dem Quodlibet entgegendrängten, gelang es Mike, die Grübeleien auf Eis zu legen. Am Dernbacher Dreieck bog er auf die A 48 ab. Hinter Höhr-Grenzhausen öffnete sich das Flusstal. Hinter der breiten Fläche des Rheins verschwammen Massen von Ansiedlungen, und mittendrin erhob sich als drohender Schatten der Kühlturm des Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich.
    Mike gelangte in die Koblenzer Innenstadt und näherte sich dann über Rauental Moselweiß. Gerade wunderte er sich noch darüber, wie wenig sich doch verändert hatte, da fand er sich in einem Gewirr von Straßen wieder, die ihm neu erschienen. Hier gab es eine Brücke, die Mike nicht kannte. Sie war genauso hässlich wie die Hochhäuser daneben. Mike las den Schriftzug einer bekannten Versicherung. Wie hatte es hier eigentlich früher ausgesehen? Er wusste es nicht mehr. Auf jeden Fall hatte sich alles in eine Betonwüste verwandelt.
    Er folgte der Moseluferstraße, und ihm wurde plötzlich bewusst, dass es genau derselbe Weg war, den sie damals in Richtung Gülser Brücke genommen hatten. Und schon tauchte die altertümliche Metallkonstruktion mit ihren weiten stählernen Bögen und den wuchtigen steinernen Pfeilern hinter einer Kurve auf.
    Mike kämpfte sich durch eine zugeparkte Straße, die nur für Anlieger frei war, und fand schnell hinauf zum Burgweg, der so still und ruhig dalag, als wäre die Zeit stehen geblieben.
    Rechts, talwärts, kam die Gärtnerei; daran konnte sich Mike orientieren. Dann ging es noch ein Stück weiter, und links am Hang war Carolas Elternhaus zu sehen.
    Die Straße war eng, und so parkte Mike in der Garageneinfahrt. Von dort aus führte eine Treppe hinauf zum Eingang. Schwarzweiße Marmorstufen, die Eingangstür aus dunklem Holz, alles wie gehabt.
    Das Namensschild über dem Klingelknopf war leer. Bevor er drücken konnte, meldete sich Carolas Stimme durch die Sprechanlage.
    »Bitte nimm den unteren Eingang«, sagte sie.
    Unterer Eingang? Seit wann gab es denn so was?
    Mike ging die Treppe wieder hinunter und sah eine ebenerdige Tür, die er früher nie bemerkt hatte. Sie war angelehnt und führte in einen schmalen, dunklen Flur. Mike öffnete. Es roch muffig.
    »Hallo?«, rief er.
    »Ich bin hier hinten«, antwortete Carola. »Komm einfach durch.«
    Der Flur mündete in einen großen Raum. Neben einem kleinen vergitterten Fenster, das zumindest eine Ahnung von Sonnenschein hereinließ, saß Carola hinter einem Schreibtisch. An der einen Seite der Schreibfläche war ein Laptop aufgeklappt. Den Rollstuhl sah Mike erst, als Carola auf ihn zufuhr.
    »Hallo, Mike«, sagte sie und hielt ihm die Hand hin. »Schön, dass du gekommen bist.« Sie lächelte.
    Mike suchte in dem Gesicht die Carola von früher. Ihre Wangen waren fülliger geworden. Die Haut sah blass aus, fast ungesund. Die blonden Haare waren ziemlich kurz. Als käme sie gerade aus dem Krankenhaus, dachte Mike.
    »Hallo, Carola.«
    Sie lächelte, und ihr Gesichtsausdruck bekam etwas Verschmitztes, das Mike sehr bekannt war. Carola wies auf einen roten Klappstuhl, der neben einer kleinen Zimmerpalme in der Ecke stand. »Setz dich doch.«
    Mike nahm Platz.
    »Möchtest du was trinken?« Er nickte. Sie rollte in den Flur. »Ich habe Wasser und Orangensaft«, rief sie herüber. »Was möchtest du? Ich kann auch einen Kaffee machen.«
    »Wasser«, sagte Mike.
    Carola kam zurück, eine Flasche und zwei Gläser im Schoß; die Hände brauchte sie, um die Räder in Gang zu bringen. Sie goss Wasser in die beiden Gläser. »Das wird dir sicher komisch vorkommen hier«, sagte sie. »Aber ich konnte noch nicht groß renovieren. Meine Möglichkeiten sind im Moment etwas beschränkt. Prost.« Sie trank, und auch Mike nahm einen Schluck.
    »Bist du seit dem Unfall im Rollstuhl?«, fragte er.
    Sie nickte. »Die
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