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Sayuri

Sayuri

Titel: Sayuri
Autoren: Carina Bargmann
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Hand.
    Seine Augen flatterten, dann schlossen sie sich wieder. Sein letzter Atemzug klang wie ein erleichterter Seufzer, dann war es plötzlich totenstill in Raum und Sayuri hatte das Gefühl, dass selbst das Knistern des Feuers verstummt war.
    Sie konnte nur ihren eigenen Atem hören, als sie die stickige Luft einsog.
    Hinter ihr wurde die Tür aufgerissen. Ein Mann stürzte auf das Bett zu und stieß sie grob zur Seite, sodass sie ein paar Schritte zurücktaumelte.
    Stumm beobachtete sie, wie der Mann am Bett des Kaisers zusammensank. Er griff nach der Hand des alten Kaisers und ließ schluchzend den Kopf auf die Decken fallen. Da erkannte sie Miro, auch wenn er ihr verändert erschien. Abgemagert war er, die Haare standen ihm wirr vom Kopf ab und seine Bewegungen hatten nichts mehr von der erhabenen Sicherheit, die er in der Stadt immer zur Schau gestellt hatte.
    Er ist auch nur ein Mensch, dachte Sayuri, als sie zu Miro schaute, der sich völlig dem Schmerz über den Tod seines Bruders überlassen hatte. Ein Mensch, genauso wie ich. Fest nahm sie sich vor, immer daran zu denken. Niemals wollte sie sich über irgendjemand anderen stellen.
    Vorsichtig ging sie um ihn herum, blieb noch einmal neben dem Bett stehen und sah auf ihren Vater hinab, der so friedlich aussah, als schliefe er.
    Dann wandte sie sich zur Tür, durch die warmes Sonnenlicht fiel, und zog sie leise hinter sich zu.
    Erleichtert schloss sie die Augen, lehnte sich gegen das kühle Holz der Tür und atmete dankbar die frische Luft ein.
    Alles wird gut werden. Jetzt wird alles gut.
    Langsam öffnete sie die Augen und wandte sich von der Tür ab.
    Vor ihr kniete Kiyoshi auf dem Boden. Sie sah den Körper, der in seinen Armen lag, die dunklen Locken, die die geschlossenen Augen umrahmten, die Kleidung, die das Blut rot gefärbt hatte.
    Stumm blickte sie auf ihre Freundin hinab und wusste, dass sie sich geirrt hatte.
    Nichts war gut.
    Mit einem Ruck stand Kiyoshi auf. In seinen Armen hielt er Marje so sicher und vorsichtig, dass es Sayuri die Tränen in die Augen trieb. Die Hand, mit der sie vergeblich versucht hatte, sich zu schützen, rutschte von ihrem Körper, fiel leblos hinab. An ihrem Finger trug sie noch immer Milans Ring.
    Mit wenigen Schritten war Sayuri bei ihr, griff nach der Hand, umschloss sie sanft mit den Fingern. Zärtlich strich sie über den Ring, dann legte sie die Hand sanft auf den Bauch zurück und faltete sie mit Marjes anderer Hand.
    Kiyoshi beobachtete jede ihrer Bewegungen.
    Sayuri wollte den Blick heben und ihm irgendetwas sagen, aber sie konnte es nicht. Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen. Von einem auf den nächsten Moment fühlte sie sich völlig leer.
    »Komm«, bat Kiyoshi. Seine Stimme war rau. Mit dem Fuß stieß er die Tür auf, die in den Garten der Quelle führte. Ganz in der Nähe ertönte ein Zentaurenhorn, aber sie achteten nicht darauf.
    Kiyoshi ging bis zum Ufer des kleinen Sees, direkt zu der Quelle. Zwischen hellen Steinen sprudelte das Wasser hervor, ergoss sich in den See und speiste den schmalen Bach.
    Sayuri konnte ihn spüren. Unter der Erde quoll die Kraft hervor und verwandelte sich in Wasser, speiste den Fluss, ließ ihn zu jener Größe und Breite anschwellen, wie Shanu sich den Menschen in der Stadt zeigte. Jetzt erst verstand Sayuri, wie mächtig diese Quellen waren.
    Sie fühlte, wie die Magie ihren Körper umspülte wie der Shanu, wenn sie in ihm gebadet hatte. Der Unterschied der Elemente war für sie kaum wahrzunehmen.
    Mit zitternden Fingern strich sie über die Steine, schöpfte Wasser. Vorsichtig griff sie nach Marjes blutverschmierter Hand und tauchte sie ins kühle Nass der Quelle. Mit sanften, fast mechanischen Bewegungen wusch sie das Blut von der hellen Haut.
    Kiyoshi hatte Marje auf die Wiese direkt am Ufer gelegt, ihr Kopf ruhte auf einem weichen Kissen aus Gras. Stumm saß er neben Sayuri und verfolgte jede ihrer Handbewegungen, während sie Marje den Staub und Dreck von der Stirn wischte. Als Sayuri das Gesicht und die Hände der Freundin gesäubert hatte, sank sie schließlich stumm neben ihrer leblosen Gestalt zusammen, immer noch unfähig, irgendetwas zu sagen.
    Kiyoshis Arme umschlossen sie, zogen sie zurück. Sie spürte seinen kräftigen Körper, der zitterte. Seine Hände hielten sie fest. Sie versuchte, sich zu befreien, sich aus seinem Griff zu winden, aber er war so viel stärker als sie.
    Das Wasser der Quelle bäumte sich mit ihr auf, umfasste Marjes Kopf und hob
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