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Sayuri

Sayuri

Titel: Sayuri
Autoren: Carina Bargmann
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kommen.
    Schließlich winkte er Sayuri und Marje, ihm zu folgen. Der Weg schlängelte sich ein Stück an der Mauer entlang, ehe er in ein zweites kleines Wäldchen abbog, das auf einer Insel lag. Der Pfad führte zu einem Haus, das ähnlich abgelegen war wie das seiner Mutter. Miro hatte ihm von Kindesbeinen an eingeschärft, dass der Kaiser Ruhe brauchte, und Kiyoshi hatte ihn nie ohne Begleitung aufsuchen dürfen.
    Und obwohl das hier vertrautes Terrain war, sein Zuhause, seit er denken konnte, fühlte Kiyoshi sich genauso unsicher wie in der Wüste.
    Das Haus, in dem der Kaiser seit Jahren zurückgezogen lebte, war bescheiden. In einem Halbkreis war es um einen kleinen Garten gebaut, derselbe Garten, der in so vielen Details Sayuris kleinem Dachgarten glich. Der Garten, in desssen Mitte zwischen fremdartigen Blumen und Pflanzen die Quelle lag.
    Dort vorne?, fragte Sayuri, als das Haus in Sicht kam.
    Kiyoshi nickte nur. Noch einmal hielt er nach Soldaten oder Wächtern Ausschau, aber es war, als wäre dieser Teil des Palastes ausgestorben.
    »Ihr wartet hier im Schutz der Bäume auf mich, bis ich euch hole«, flüsterte er und ging alleine weiter. Am Waldrand zögerte er kurz, dann trat er über die zierlich geschwungene Brücke aus weißem Marmor und ging entschlossen auf das Haus zu, vor dem in gepflegten Beeten exotische Blumen blühten. In den großen Blütenkelchen ließen sich kleine Irrlichter nieder, ihr Summen und Sirren erfüllte die Luft.
    Entschlossen straffte Kiyoshi die Schultern, dann öffnete er die schwere, kunstvoll geschmiedete Tür und trat in den Flur. Durch die großen Buntglasfenster fiel Sonnenlicht und malte hell schimmernde Bilder auf den glänzend polierten Steinfußboden. Noch immer waren keine Wachen zu sehen, der Gang lag leer und still vor ihm.
    Sein Blick fiel auf die gegenüberliegende Tür, die zum Garten mit der Quelle führte. Für sie war Miro bereit gewesen, die Sechzehnjährigen der Stadt zu opfern.
    Aber er hat sich geirrt, dachte Kiyoshi grimmig. Er hat einen Fehler gemacht, wie schon so oft. Sayuri brachte die Quelle nicht zum Versiegen. Ganz im Gegenteil – noch nie war der Shanu so stark gewesen.
    Er drehte sich um und glitt zur Tür zurück, um Sayuri und Marje zu sich zu winken. Schnell liefen sie über die Brücke und folgten ihm in den Palast. Lautlos schloss er das Tor hinter ihnen.
    Kurz traf sein Blick Sayuri. Was würde nun passieren? Was trieb sie zum Kaiser? Wie würde die Sache enden?
    Sayuri hielt kurz inne, dann ging sie vorsichtig weiter. Sie sagte keinen Ton, sah sich nicht um, fragte nichts. Ohne zu zögern, steuerte sie die Tür an, hinter der der Kaiser sein Schlafgemach hatte.
    Kiyoshi wechselte einen Blick mit Marje. Auf Zehenspitzen folgten sie Sayuri. Im Halblicht der bunten Fenster schimmerte das Haar des Mädchens noch heller als sonst.
    Das Zimmer, in dem der Kaiser lag, war abgedunkelt. Schwere Vorhänge sperrten das Sonnenlicht aus und trotz der draußen herrschenden Hitze brannte im Kamin ein wärmendes Feuer.
    Der Kaiser selbst lag in einem riesigen Bett, das mit geschnitztem Elfenbein verziert war. Die Decken schienen Kiyoshi so schwer, dass er sich fragte, wie der Kaiser unter ihnen atmen konnte. Vage war ein Gesicht zu erkennen, so tief in das große, weiche Kissen gesunken, dass man es kaum von dem Stoff unter scheiden konnte. Weiße Haare rahmten ein farbloses Gesicht ein, das kaum mehr war als ein Totenschädel.
    Marje griff nach Kiyoshis Hand und er konnte spüren, dass sie zitterte. Sie blieben in der Tür stehen.
    Sayuri trat einen Schritt in den Raum hinein, verharrte dann jedoch. »Vater?«, fragte sie leise.
    Sie sagte es, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt. Und so kam es Kiyoshi plötzlich auch vor.
    Er wunderte sich nicht, fühlte keine Überraschung.
    Und doch spürte er, wie sich in ihm alles zusammenzog.
    Das war es, was die Quelle des Wissens Sayuri offenbart hatte. Und obwohl es Kiyoshi so folgerichtig erschien, spürte er erst jetzt, wie sehr er sich dem Gedanken verweigert hatte.
    Sayuri. Die Tochter und Erbin des Kaisers.
    Das Kind seines Onkels.
    Eine Kälte durchflutete ihn, die ihm fast die Luft zum Atmen nahm. Sein ganzes Leben erschien ihm plötzlich falsch. Alles, was Miro ihm erzählt hatte, war eine einzige, große Lüge gewesen. Der Raum begann sich plötzlich um ihn zu drehen, Sayuri und das Bett des Kaisers verschwammen vor seinen Augen und die Hitze im Raum trieb ihm Schweißperlen auf die
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