Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sayuri

Sayuri

Titel: Sayuri
Autoren: Carina Bargmann
Vom Netzwerk:
Lebens bereut«, sagte er.
    »Ich will keine deiner Entschuldigungen hören!«, brauste Kiyoshi auf. »Ich will endlich wissen, was hier vor sich geht!«
    Miro wandte sich ab und schritt zum Fenster. In dem kleinen Palastgebäude war es plötzlich totenstill. Selbst die Geräusche der Natur aus dem Palastgarten waren verstummt.
    »Es gab zwei Brüder und zwei Schwestern«, begann Miro. »Der Kaiser und ich – und die Schwestern Silla und Aulis.«
    Marje warf Kiyoshi einen verwirrten Blick zu. Aulis war Kiyoshis Mutter, so viel wusste sie. Und war Silla nicht der Name, den sie damals am Morgen nach dem Attentat genannt hatte?
    »Was war mit meinem Vater? Eurem dritten Bruder?«
    Miro machte eine abwehrende Handbewegung. »Es gab nie einen dritten Bruder, Kiyoshi.«
    Marje fühlte, wie ihre Kehle trocken wurde. Kiyoshi sah aus, als würde er einem Gespenst begegnen. »Was heißt das? Wer ist mein Vater?«
    »Du musst die ganze Geschichte hören, bevor du urteilst, Kiyoshi.« Miros Augen lagen jetzt in dunklen Höhlen. Fast sah es aus, als ob er eine Maske trüge. »Silla und Aulis waren Schwestern. Sie waren sich sehr ähnlich, doch der Kaiser und ich hatten nie Schwierigkeiten, sie zu unterscheiden. Das ist es, was Liebe vermag.«
    Kiyoshi schwieg und Miro fuhr fort. »Schon in jungen Jahren wurde Silla die Frau meines Bruders.«
    Marje hob ungläubig den Kopf. »Es gab eine Kaiserin? Davon habe ich noch nie etwas gehört.«
    »Nach ihrem Tod habe ich verbieten lassen, ihren Namen auch nur zu erwähnen. Es standen schwere Strafen darauf.« Er lachte bitter. »Ihr glaubt nicht, wie schnell gezielte Drohungen einen Menschen aus der Erinnerung des Volkes löschen können.«
    »Was ist mit ihr geschehen?« Kiyoshis Worte waren fast tonlos.
    »Silla erwartete ein Kind vom Kaiser. Sie war so glücklich, als sie davon erfuhr. Und mein Bruder ebenfalls.« Über Miros Gesicht legte sich ein dunkler Schatten. »Doch ein paar Wochen vor der Geburt setzten die Wehen ein. Es war noch zu früh. Und die Geburt dauerte so lange. Der Kaiser konnte es kaum noch ertragen. Ihre Schwester Aulis wich nicht von ihrer Seite. Und ich … ich schwor, dass ich alles opfern würde, wenn Silla nur überlebte.« Er schwieg einen kurzen Moment.»Sekunden krochen dahin wie Stunden. Es war eine Qual.«
    Marje konnte sehen, dass Miro Tränen in die Augen stiegen. Doch noch ein anderes Gefühl schien sich auf seinem Gesicht zu spiegeln, und als er weitersprach, konnte Marje den Zorn in seiner Stimme hören.
    »Hätte es dieses Kind doch nur nie gegeben!«, stieß Miro hervor und ballte die Hände zu Fäusten.
    »Sayuri«, flüsterte Kiyoshi tonlos.
    »Dieses verfluchte Kind! Es schien, als wollten die Götter uns strafen!« Miros Worte hallten laut über den Flur, und als sein Blick auf die Tür zum Schlafgemach seines Bruders fiel, fuhr er mit gedämpfter Stimme fort. »Die Geburt dauerte einen ganzen Tag. Doch nicht einmal die Wiljar konnten helfen. Als die Hebamme ihr das Kind in den Arm legte, hat Silla schon nicht mehr geatmet.« Sein Blick suchte einen Punkt auf dem Foliosteinfußboden und seine Stimme war kaum mehr als ein leise gehauchtes Flüstern. »Das Kind hat sie umgebracht!«
    Marje schauderte, als sie sich die Bilder vorstellte – Sayuri als kleines, hilfloses Baby in den toten Armen ihrer Mutter. Kiyoshis Hand in ihrer fühlte sich kalt an. Noch immer stand er ganz still neben ihr, keinerlei Regung war auf seinem Gesicht zu sehen.
    »Als der Kaiser erfuhr, dass Silla, die er über alles geliebt hatte, gestorben war, brach er zusammen«, fuhr Miro fort. »Und Aulis – sie hat seitdem kein einziges Wort mehr gesprochen, das Sinn ergab.« Seine Stimme war hart geworden. »Dieses Kind musste weg. Es hatte so viel Unglück über unsere Familie gebracht.«
    »Ich glaube dir nicht«, hörte Marje plötzlich Kiyoshi sagen. »Ich glaube dir kein Wort. Was war deine Rolle in diesem Drama? Hast du das alles nur getan, um deinem Bruder zu helfen? Doch wohl kaum. Weshalb diese Lügen?« Er spuckte die Worte verächtlich aus.
    Marje hielt Kiyoshis Hand umklammert. Voller Abscheu sah sie auf Miro, auf dessen blassem Gesicht sich nun rote Flecken abzeichneten.
    »Ich habe es einem Diener gegeben«, flüsterte Miro tonlos, ohne auf Kiyoshi zu achten. »Es kümmerte mich nicht, ob es noch am Leben war oder nicht. Ich wollte nur, dass es mir aus den Augen gebracht wurde! Ich hätte es nicht ertragen, es je zu Gesicht zu bekommen.« Er zögerte einen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher