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Sauberer Abgang

Sauberer Abgang

Titel: Sauberer Abgang
Autoren: Anne Chaplet
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sogar manchmal die von Will. Nur Julius träumte anders, aber nicht weniger gefährlich. Er träumte von Leo.
    Am Tag nach der Katastrophe wäre es soweit gewesen. Leo und Michel wollten den Rohbau der Deutschen Bank besteigen, den linken der beiden Türme. Mit Transparent, Bergsteigerausrüstung und Signalpistole. Was für eine kindische Idee.
    Aber sie war noch immer auf eine verrückte Weise schön.

5
    Sie fuhr entschieden zu schnell. Außerdem mochte Will keine Kabrios, vor allem nicht auf der Autobahn, egal, ob es Frühling war oder nicht. Aber Karen Stark ignorierte ihn, summte ein Liedchen und gab Gas.
    Als sie am Bad Homburger Kreuz ankamen, drehte er sich um. Von hier aus hatte man einen phantastischen Blick auf die Stadt in den Wolken mit ihren hochragenden Türmen, die das milchige Sonnenlicht verschleierte. Der Messeturm sah von ferne aus wie die Heimat von Batman. Und dahinter entdeckte Will die vertrauten weißroten Antennen von Commerzbank und Maintower. Die Sehnsucht nach Karl packte ihn mit einer Wucht, die ihm die Luft abdrückte. Meine Skyline, hörte er den Alten sagen. Mein Frankfurt. Das habe ich gebaut.
    Und du? flüsterte es in ihm.
    Ich habe mein Leben in den Sand gesetzt, dachte Will und drehte sich entschlossen nach vorn.
    »Alles in Ordnung?« Die Frau mit den roten Haaren war auf die A5 nach Norden gewechselt und sah ihn von der Seite an. Prüfend. Er hätte sie am liebsten gebeten, sich auf den Autoverkehr zu konzentrieren und ihn unbeobachtet gerührt sein zu lassen.
    »Tut mir leid wegen Ihres Vaters«, sagte sie.
    Mir auch, dachte Will.
    »Aber ich kann Ihnen ein paar unangenehme Fragen nicht ersparen.«
    »Fragen Sie nur.« Die Staatsanwältin war ihm lieber als die beiden Kripobeamten, die ihn damals zu Hause behelligt hatten. Vielleicht hätte er Karen Stark schon damals alles erzählt. Und vielleicht hätte das Schlimmeres verhindert.
    »Sind Sie sich eigentlich im klaren darüber, daß Sie Julius Wechsler auf dem Gewissen haben?«
    Das meinte sie also mit »unangenehm«.
    »Ja«, sagte Will. Und die Erkenntnis tat nicht weniger weh wie die Trauer um Karl und die Sehnsucht nach Dalia.
    »Sie haben Beweismaterial unterschlagen, Sie und Frau Sonnenschein, als Sie die Amulette eingesteckt haben, die Sie bei Marcus Saitz und Thomas Czernowitz gefunden haben. Und wenn Sie mal den Mund aufgemacht und uns aufgeklärt hätten über diesen seltsamen Männerbund von damals, dann wären wir noch vor Max Winters Tod auf der richtigen Spur gewesen.«
    »Ich denke, er hatte einen Herzinfarkt?«
    »Richtig. Aber was machte das Pentakel neben seiner Leiche?« Die Staatsanwältin drängelte einen Kleinwagen von der Überholspur. »Wenn Sie sich nicht eingemischt hätten, wären wir früher auf die Verbindung zu Saitz und Czernowitz gestoßen. Aber ohne diese Verbindung gab es keinen Grund, mit einem weiteren Mord zu rechnen.«
    »Und – Dalia Sonnenschein …«
    »Dalia Sonnenschein hat Ihnen das Leben gerettet.«
    »Ich habe sie mit Jenny reden sehen, vor ein paar Tagen.«
    Die Staatsanwältin schüttelte energisch die roten Haare. »Sie hat mit ihrer Chefin geredet, mit Johanna Maurer, der Eigentümerin der Pollux Facility Management GmbH. Johanna Maurer, geborene Willard.«
    »Also Jenny.«
    »Genau. Also eine Frau, die alle wichtigen Informationen in der Hand hatte, um Ihre Freunde einen nach dem anderen umzubringen. Sie ließ nicht nur im Bankhaus Löwe, sondern auch in der Staatsanwaltschaft und im Gebäude putzen, in dem Julius Wechsler sein Büro hatte. Sie wußte, wie lange ihre Opfer im Büro waren, wann man sie am ehesten ungestört antraf und was sie sonst noch für Eigenheiten hatten. Perfekt.«
    »Aber warum hat niemand von uns sie gesehen?«
    »Das liegt doch auf der Hand. Es gehört zur Geschäftspolitik von Putzunternehmen, unsichtbar zu sein.«
    »Und Dalia?«
    »Sie war von Johanna Maurer offenbar dazu ausersehen worden, den Sündenbock zu spielen, jedenfalls hat sie versucht, die ersten beiden Morde so zu plazieren, daß Dalia am Tatort war.«
    Will atmete tief ein und wieder aus. Alles hatte plötzlich eine Ordnung. Und Dalia war nicht die Verbündete, sondern ein weiteres Opfer von Jenny.
    Und sie alle hatten wie die Besessenen an Leo gedacht, an Leo, der Rache übte. Nur, weil Jenny die Pentakel an den Tatorten hinterlassen hatte. Das hatte genügt, um all die Ängste und Schuldgefühle wieder hochsteigen zu lassen, die sie jahrelang verdrängt hatten. Dabei war es Jenny
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