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Sauberer Abgang

Sauberer Abgang

Titel: Sauberer Abgang
Autoren: Anne Chaplet
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hier sein. In diesem Moment klopfte es schon.
    Als sich die Tür öffnete, hatte Karen für den Bruchteil einer Sekunde das Gefühl, ins Leere zu blicken. Doch da war jemand, eine Frau, so klein, daß Karen zuerst über sie hinweggesehen hatte, ihr zu Füßen ein weißer Hund mit blauen Augen. Man mußte ihr die Verwirrung angesehen haben, denn die Person lächelte sie fast spitzbübisch an, als sie ins Zimmer kam und ihr die Hand gab.
    »Dalia Sonnenschein«, sagte sie. Und dann redete sie.
    Nach einer halben Stunde fielen die fehlenden Teile des Puzzles wie von selbst an ihren Platz. Karen Stark griff zum Telefon. »Fahndung nach Johanna Maurer und Will Bastian. Und das vorgestern.« Wenn Dalia Sonnenschein recht hatte, war der nächste Tote nur eine Frage der Zeit.
    Sie schaute die Frau an. »Wir sollten Sie für eine Weile aus dem Verkehr ziehen«, sagte sie schließlich.
    »Ich … der Hund …« Dalia Sonnenschein wirkte zum ersten Mal verunsichert.
    Karen griff wieder zum Telefon. Paul Bremer müßte eigentlich zurück sein aus dem Honeymoon.
    »Ich weiß da was«, sagte sie.
    Wozu hatte man einen guten Freund weit weg vom Schußfeld, auf dem tiefsten Land, in der göttlichsten Provinz, in Klein-Roda?

3
    Die Falkstraße liegt parallel zur Leipziger. Aber während auf der Bockenheimer Einkaufsmeile Enge herrschte, weil sich auf der schmalen Straße Menschen und Autos und Fahrradfahrer drängten, wirkte die Falkstraße trotz ihrer Leere eng und dunkel und die Häuser grau.
    Will Bastian störte das nicht, im Gegenteil. Wenn es nach ihm ginge, wäre auch der Himmel so grau wie die Häuser und nicht derartig blau, daß es schmerzte, wenn man aus Versehen hinguckte. Der Anruf Jennys heute morgen hatte ihn überrascht, er hatte nicht mehr damit gerechnet.
    »Willst du Leo sehen?«
    Doch, aber es war ihm nicht mehr wichtig.
    »Nun sag schon!«
    Nichts war mehr wichtig. Nicht Leo, nicht Jenny, noch nicht einmal Dalia. Und schon gar nicht sein eigenes Leben. »Ja«, sagte er schließlich. Meinetwegen.
    Er hätte nie geglaubt, daß ihn Karls Tod so mitnehmen würde. Der Tod seines Vaters machte ihn fast noch trauriger als damals der Tod der Mutter. Vielleicht, weil er mehr Zeit gehabt hatte, sich auf Margas Tod einzustellen? Karl war noch so lebendig gewesen, so – mitten im Leben. Andererseits: Was konnte einem Besseres passieren? Wenn schon sterben, dann so, dachte Will. Mitten im Leben.
    »Bist wohl lebensmüde, Alter! Man guckt, bevor man über die Straße rennt!« Will blieb auf der Straße stehen und sah dem Jungen auf dem Mountainbike hinterher, der ihn fast umgefahren hätte. Auch das wäre ihm egal gewesen.
    Die Haustür der Nummer 7 ließ sich aufdrücken, das Flurlicht funktionierte nicht. Im dunklen Hausflur roch es nach Bratkartoffeln und Katzenkot. Im dritten Stock, hatte Jenny gesagt. Die Wohnung rechts. Will stieg die ausgetretene Treppe hoch.
    Kein Schild an der Wohnung. Noch nicht einmal eine Klingel. Aber die Tür war nur angelehnt. Will zog sie hinter sich zu, als er hineinging, durch einen dunklen Flur zu einem Zimmer am Ende des Schlauchs.
    Leo saß in einem Sessel am Fenster. Die Scheiben schienen lange nicht geputzt worden zu sein, aber das Licht, das von draußen hereinfiel, enthüllte immer noch genug. Will blieb im Türrahmen stehen und versuchte, sich seine Gefühle nicht anmerken zu lassen. Unter der Decke, die über seinen Knien lag, zeichneten sich knochige Beine ab. Leos schmale Schultern waren nach vorne gesunken, und auf dem zerbrechlichen Hals saß ein Kopf, der Will an eine Indianermumie erinnerte. Die einst so ausdrucksvollen blauen Augen waren verblaßt, die schwarzen Haare dünn und grau geworden.
    »Will Bastian«, sagte Leo und versuchte ein freundliches Lächeln. Will sah mit Erschrecken, daß der alte Freund noch nicht einmal mehr Geld für den Zahnarzt gehabt haben mußte. Wo ist die ganze Kohle geblieben, die Jenny von uns erpreßt hat? hätte er am liebsten gefragt. Wahrscheinlich bei Jenny, dachte er nüchtern. Und vielleicht hätten wir uns das denken können.
    Mit einer fahrigen Handbewegung lud Leo ihn ein, hereinzukommen und sich zu setzen. Will sah sie erst, als er im Zimmer stand. Jenny. Sie hockte breit lächelnd auf dem Sofa gegenüber Leos Sessel und nickte ihm zu.
    »Hier ist er, vor dem ihr euch so gefürchtet habt. Leo. Eure Nemesis.«
    Leo lächelte wieder, ein schrecklich lückenhaftes Lächeln. »Schön dich zu sehen, Will. Wie geht es dir? Was machen die
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