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Hendrikje, Voruebergehend Erschossen

Hendrikje, Voruebergehend Erschossen

Titel: Hendrikje, Voruebergehend Erschossen
Autoren: Ulrike Purschke
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1
»Störe ich?«
    »Nein, nein, kommen Sie rein.«
    Hendrikje kommt rein, und vorsichtig, als wollte sie gar kein Geräusch machen, schließt sie die schwere Tür hinter sich, ganz leise.
    »Ich verstehe Ihre Frage gar nicht. Das ist doch unsere verabredete Zeit.«
    »Ja.«
    Der Behandlungsraum für Psychotherapie also. Hendrikje sieht verlegen auf den grauen Industrieteppichboden und auf die grauen Waschbetonwände, vor denen auf einem Glasbord fünf weiße Orchideen prangen, echt edel.
    »Setzen Sie sich.«
    Hendrikje setzt sich in einen bequemen Sessel gegenüber von Frau Doktor Palmenberg, die in einer Art Fernsehliege thront, mit hochgelegten Füßen. Sofort beginnt Doktor Palmenberg, im großen Schreibblock, den sie auf dem Schoß liegen hat, die ersten Eindrücke von ihrer neuen Patientin zu notieren:
schüchtern-verhuscht/gefasst/klein/mager/blass /zu große Männercordhose + schlabbriger Pulli/ungepflegte Kurzhaarfrisur Typ Straßenköter/sieht aus wie 15.
    Hendrikje ihrerseits betrachtet die Palmenberg, die mehr liegt als sitzt. Die Schuhe hat sie abgestreift und ist barfuß. Sie hat lackierte Zehennägel, was auf ein, so denkt sich Hendrikje, ausgefülltes Sexualleben hinweist. Völlig lässig, Grandezza gratis. Dezenter schwarzer Hosenanzug, der weich fällt und sicher ein Vermögen gekostet hat, weil die Dame darin so unverkrampft bleibt. Ein Anzug, in dem du immer gut aussiehst, egal wie du dich hinfläzt.
Frau Doktor Palmenberg ermuntert Hendrikje. »Wir springen gleich rein. Ohne große Vorrede. Nur so viel: Alles ist hier erlaubt. Erzählen Sie mir, was immer Sie für wichtig halten. Alles. Kein Tabu. Ihr Name ist Hendrikje Schmidt, stimmt das?«
    Hendrikje nickt.
    »Warum sind Sie hier?«
    »Ich habe einen Menschen getötet.«
    Doktor Palmenberg schlägt ungerührt das Patientenblatt auf.
    »Ja, das lese ich hier.«
    »Streng genommen sogar zwei, das lässt sich so genau nicht sagen.«
    »Zwei?«
    »Ja. Es war Notwehr, das eine Mal. Das andere Mal, da, wo ich mir halt nicht so sicher bin, das war einfach irrsinnig dumm gelaufen. Ganz, ganz furchtbar blöd.«
    »Und wie geht es Ihnen damit?«
    »Furchtbar. Schrecklich. Ich weiß nicht, wie ich damit leben soll.«
    »Gut. Lassen Sie uns beim Anfang bleiben. Sie sind wie alt?«
    »34.«
    »Was machen Sie beruflich?«
    »Ich bin Malerin.«
    »Malerin?!« Doktor Palmenberg klingt anerkennend.
    »Ja. Und Kellnerin.«
    »Ah-ha.« Doktor Palmenberg klingt abschätzend.
    »Ja nee, ich bin wirklich Malerin, nicht nur so hobbymäßig. Als Kellnerin verdien’ ich mir nur mein Geld. Die Leute kaufen zur Zeit nicht so viele Bilder, wir haben eine Rezession.«
Doktor Palmenberg nickt.
    »Gut. Wie gefällt Ihnen Ihre Arbeit als Kellnerin?«
    »Prima. Macht Spaß.«
    Doktor Palmenberg guckt Hendrikje an, ruhig und forschend.
    »Ich hasse es.«
    Doktor Palmenberg nickt.
    »Also, wenn man nur Gast im Café ist, kann man sich das nicht vorstellen. Aber die Welt von hinterm Tresen aus gesehen ist so was wie der Vorhof zur Hölle. Ich komme um 9 Uhr morgens ins Café und mache belegte Brote und lege sie in die Vitrine, ich hole die Torten aus dem Kühlhaus, fülle die Kaffeemaschinen auf und verteile frische Aschenbecher. Ich gebe den Blumen frisches Wasser. Um 10 mache ich auf und ab da brummt das Frühstücksgeschäft. Dann gibt’s zum Beispiel Zeugnisse, dann hab ich plötzlich ’ne ganze Schulklasse im Laden. Das heißt: 18 Cappuccini müssen gleichzeitig fertig sein, aber mit so festem Schaum, dass der Löffel drin steht, dann sind die belegten Brote aufgegessen, ehe die Stammgäste kommen, und ich muss neue schmieren, hab dafür aber gar keine Zeit, weil eine Oma Mohnstrudel haben will, den ich in der Mikrowelle warm machen muss, aber in der taut gerade das Gratin für mittags auf. Ein Gast bringt seine Cola zurück, weil da angeblich die Kohlensäure drin fehlt, dann rauscht Goebbels rein, also das ist meine Chefin, und räumt in ihrem Führerhauptquartier erst mal auf und schreit mich an, weil keine belegten Brote mehr da sind und dass ich solche Kuchengabeln mit solchen Wasserflecken unmöglich den Gästen hinlegen kann, aber wann hätte ich die polieren sollen? Genau in dem Augenblick beschwert sich die Oma, wo denn ihr Mohnstrudel bleibt, und meine Chefin macht mich zur Schnecke, dabei will
sie
, dass das Gratin auftaut. Dann zerrt sie das Gratin aus der Mikrowelle raus und haut einen Mohnstrudel rein. Die Oma ruft noch: ›Ohne Sahne!‹, und meine
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