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Sauberer Abgang

Sauberer Abgang

Titel: Sauberer Abgang
Autoren: Anne Chaplet
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Strahlrohre ihr Spritzwasser unter hohem Druck aufs Ziel lenkten, nahm ihm die Luft. Julius Wechsler war nicht der Typ, der sich freiwillig dem Experiment ausgesetzt hätte, die Wirkung eines Wasserwerfers am eigenen Leib zu überprüfen, aber vor einigen Monaten, bei der Räumung eines besetzten Hauses in der Myliusstraße, war er nicht vorsichtig genug gewesen. Der volle Strahl eines Wasserwerfers hatte ihn erwischt, die Wassersäule hatte seinen Rücken gerammt, rechts von der Lendengegend, ihn nach vorne katapultiert, zu Boden geschleudert zu den anderen armseligen, durchnäßten Gestalten. Er erinnerte sich ungern an das Gefühl der Ohnmacht in einer unwürdigen Situation: Jedes Mal, wenn er versucht hatte, sich aufzurichten, ach was: wenigstens auf die Knie zu kommen, hatte sich der Mann in einem der beiden Drehtürme den Spaß gemacht, ihn wieder abzuschießen und in seinem Anzug weiterkrabbeln zu lassen inmitten der Parka- und Jeansträger. Er hatte bei dem Getümmel seine Brille verloren und war halbblind nach Hause gestolpert. Wenn sie nah genug an ihm vorbeiglitten, hatte er Mitleid, Spott und Verachtung auf den Gesichtern der Passanten registriert, die sich wahrscheinlich nicht vorzustellen vermochten, wie ein leicht übergewichtiger, gutgekleideter junger Mann dazu kam, klatschnaß durch die Stadt zu laufen und bei jedem Schritt eine Pfütze und ein Geräusch zu hinterlassen, das wie das Schmatzen eines Ochsenfrosches klang. Wenigstens seine geliebten Budapester hatten das Desaster halbwegs gut überstanden.
    »Eins, zwei, drei, laßt die Leute frei«, erklang es aus der Zuschauermenge. Ein Hausbesetzer nach dem anderen wurde aus der Eingangstür geschleppt. Jetzt war das Spektakel bald vorbei. Auf die Scharmützel, die einer Räumung meist folgten, konnte er verzichten. Für ihn war das nichts. Er war Brillenträger.
    Auf dem Weg in die Klüberstraße kalkulierte Julius Wechsler noch einmal alles durch.
    Der Wert einiger der leergeräumten Westendvillen war rapide gesunken, seit den Investoren klargeworden war, daß es um jedes dieser Häuser einen erbitterten Kampf geben würde. Das verunsicherte die Anleger und gefährdete den eigenen Ruf. Er, Julius Wechsler, hatte keinen Ruf zu verlieren. Er würde noch eine Weile abwarten und dann die Hälfte seines Erbes in zwei gut erhaltene Häuser stecken, für deren Besetzung er selbst sorgen würde. Einigen der Besetzer würde er Monate später einen Mietvertrag anbieten, das war der erste Schritt zur Zähmung. Und die gezähmten Wölfe würden nichts Eiligeres zu tun haben, als im eigenen Interesse potentielle Störenfriede auszusortieren. Und dann …
    Julius grinste in sich hinein. Es war ausgerechnet Leo gewesen, Leos Projekt, das ihn auf die richtige Idee gebracht hatte. Leo würde das nicht verstehen. Er verstand vieles nicht, vor allem nicht sich selbst.
    Julius lächelte nicht mehr. Er wünschte, Leo würde endlich begreifen, daß Jenny Gift war. Daß Frauen Gift waren. Daß alles anders sein könnte.
    Ich kauf dir ein Schloß, Prinz Eisenherz, dachte er. Komm mit mir.
    Aber er wußte, daß Leo den Mut dafür nicht haben würde.
       

UND WENN DANNDER KOPF FÄLLT, SAGE ICH:
HOPPLA!
       

1
    Warum sind Krankenhausbetten weiß bezogen, fragte sich Will. Nicht zum ersten Mal: Jeder Mensch sieht unter weißen Laken halbtot aus. Also auch Karl Bastian. Aber das heißt nichts, redete er sich ein, während er den Alten betrachtete, der mit halbgeöffnetem Mund in den Kissen lag. Wenigstens überwachen sie ihn nicht mehr auf der Intensivstation, wo man angesichts all der Schläuche, Kabel und Monitore an nichts anderes als die Unmittelbarkeit des Todes denkt.
    Will rückte den Stuhl näher ans Bett, setzte sich und streichelte die Hand, die auf der Bettdecke lag. In der altersfleckigen Haut steckte eine Kanüle. Die Haut fühlte sich dünn und trocken an. Sein Vater schien die Berührung nicht zu spüren, kein Muskel bewegte sich in seinem Gesicht. Halbseitige Lähmung, hatte der Arzt gesagt. Schwere Sprachstörungen. »Aber wenn es ihn nicht gleich noch einmal erwischt, hat er gute Chancen, wieder halbwegs sprechen und essen zu lernen.« Und – gehen? hatte Will gefragt. Der junge Arzt hatte die Hände in die Kitteltaschen gesteckt und mit den Schultern gezuckt.
    Karls Lider zitterten. Dann öffnete er die Augen, starrte an die Decke und schloß sie wieder. »Wach auf«, sagte Will. »Wach doch auf, Vater.«
    Der Alte versuchte, die Hand zu heben.
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