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Sauberer Abgang

Sauberer Abgang

Titel: Sauberer Abgang
Autoren: Anne Chaplet
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Fackel.
    Will Bastian nahm einen tiefen Schluck aus dem Rotweinglas und fühlte sich schon von der ersten Mundvoll betrunken. Er war nichts Gutes mehr gewohnt.
    »Wir haben uns geschämt«, sagte er nach einer Weile. »Und …«
    Karen Stark sah ihn aufmerksam an. Dalia redete auf Wotan ein, der auf dem Bauch über den Boden kroch, dahin, wo eine der Katzen mit einem Weinkorken spielte. Und Paul Bremer kam mit einer zweiten Flasche Rotwein aus der Küche.
    Dalia schaute hoch. »Es war Liebe«, sagte sie. »Sie macht die seltsamsten Dinge mit den Menschen.«
     
    Beim Abschied nahm Will Dalia in die Arme und küßte sie auf den Mund. Für einen Moment gab sie nach. Dann löste sie sich aus der Umarmung.
    »Ich gehe fort«, sagte sie. »Ich muß.«
    Will lächelte sie an. Er würde sie finden, wenn es Zeit war.
    Auf der Rückfahrt schloß er die Augen und öffnete sie erst wieder, als Karen Stark am Homburger Kreuz langsamer fuhr. Vor ihm schälte sie sich aus der Dunkelheit, die ferne Stadt in den Wolken mit ihren erleuchteten Türmen, um die der Nebel trieb. Wie eine Insel aus dem Meer wuchs ihnen die Skyline entgegen.
    Will dachte an seinen Vater, legte den Kopf in den Nacken und schickte einen Gedanken nach oben, dorthin, wo er dessen Geist vermutete, den er sich als eine opake Wetterfahne vorstellte, die vom Fernsehmast des Maintowers flatterte.
    Beton, dachte er. Kommt drauf an, was man draus macht.
    Dasselbe galt für sein Leben. Will Bastian beschloß, es zu ändern. Morgen. Nein – sofort.

7
    1981
    Die Welt hielt an und drehte sich dann in einem neuen Rhythmus weiter. Ob es das gibt, Liebe auf den ersten Blick? Bestimmt, dachte Jenny. Ich weiß es. Es war so.
    Er saß unter der Birke wie der Messias, umgeben von seinen Jüngern. Das schwarze Haar sein roter Mund die weiße Haut. Sie ging vorbei und sie kehrte zurück und sie blieb. Und seit diesem Abend hieß das, was sie wollte, Leo. Leo immer, Leo mein Atem, Leo meine Seele, Leo meine Leidenschaft. Leo meine Wunde, Leo mein unerfülltes Begehren. Leo wo du da ich.
    Jenny setzte sich neben ihn und blieb. Der Tag war heiß, der Abend war lau, der Rotwein warm, niemand sagte etwas, Leo schwieg, und sie fühlte sich das erste Mal eins mit der Welt.
    Eins. Er und ich. Eins.
    Und später, als beide müde wurden …
    Die anderen schliefen schon. Jenny ließ sich gegen Leo sinken. Legte den Kopf in seinen Schoß. Schaute zu ihm auf, in die dunklen Augen, auf die roten Lippen, die weiß aussahen in der sternklaren Nacht. Sie streckte ihre Hand nach ihm aus, streichelte seine Wange, versuchte, seinen Kopf hinunterzuziehen.
    Er stand auf. Er zog sie zu sich hoch. Er lief mit ihr um den See, die halbe Nacht lang. Er berührte sie nicht ein einziges Mal.
    Am nächsten Tag kamen die Worte. Er redete und hörte nicht auf zu reden. Er redete und redete, während Jenny verdorrte, weil es das einzige war, was seine Lippen ihr anboten: Worteworteworte.
    Wenn sie nur begriffen hätte, worauf das alles hinauslief.
    Das Projekt. Für das sie Liegestütze machten und um den See herumliefen, die Männer, Leo an der Spitze. Kein Sex, kein Alkohol, nur Sport und Askese.
    Jenny wich nicht von seiner Seite und sagte nichts. Nur dann, wenn die Jünger nicht spurten, wurde sie sein Sprachrohr. Verwies auf das Projekt und die Idee und das Signal und das Symbol.
    Bis sie endlich begriff, daß die ganze Idee nur auf eines abzielte: Venus zu bannen. Er wollte sie, aber sie sollte ihn nicht kriegen.

8
    Die Magnolien blühten. Ohne auch nur eine braune Stelle, denn es hatte seit Tagen nicht geregnet. Karen berauschte sich am Anblick der weißen tulpenförmigen Blüten mit dem hellroten Saum. Die ganze Stadt blühte und duftete, und alle, die ihnen entgegenkamen, lächelten. Die Jogger, die Frau mit dem Hund, die Fahrradfahrer, der alte Herr, der hinter seinem Rollator herschlurfte.
    Selbst der Polizist, der vor der Synagoge mit der Maschinenpistole Wache schob, sah ihnen entspannt entgegen. Wirken wir so glücklich? fragte sich Karen. Oder so unausgeschlafen?
    Gunter hatte seinen Arm um sie gelegt, sie spürte Wärme und Zärtlichkeit. Er hatte seine Schritte den ihren angepaßt, sie waren im Gleichklang, und nichts konnte sie trennen. Vor allem muß ich auf keine SMS warten, dachte Karen und verkniff sich das Grinsen.
    Nur der Fall Johanna Maurer saß ihr noch in den Knochen, im Hirn und im Herzen. Das mußte mit der Erklärung zu tun haben, die Dalia Sonnenschein versucht hatte.
    Karen
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