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Sauberer Abgang

Sauberer Abgang

Titel: Sauberer Abgang
Autoren: Anne Chaplet
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Schreiend lief sie aus dem Zimmer, schreiend über den Flur. Sie stieß die Tür zum Lichthof auf und blieb stehen, um Luft zu holen. Dann schrie sie wieder. Wie ein Echo kam der Aufschrei der anderen zurück. Gül stürmte aus dem gegenüberliegenden Flur, Marija kam aus der Herrentoilette, das rote Tuch und den Glasreiniger in der Hand. »Dalia! Was hast du?«
    »Tot! Er ist tot!« schrie Dalia.
    »Wer?« Die beiden Frauen drehten die Köpfe zur gleichen Zeit in dieselbe Richtung. Dalia lief weiter, auf den Aufzug zu.
    »Was ist hier los?« Johanna Maurer, die Chefin von Pollux Facility Management, stellte sich ihr in den Weg, die Lippen schmal, die Augen dunkle Schlitze. Dalia hatte gar nicht mitgekriegt, daß heute Kontrolle war. »Wo wollen Sie hin? Was schreien Sie so?«
    »Da!« Dalia wies mit dem ausgestreckten Arm hinter sich. »Da liegt einer!«
    Johanna Maurer faßte Dalia fest um die Schulter und marschierte mit ihr zurück in den Flur, der zum Zimmer des Geschäftsführers vom Bankhaus Löwe führte.
    Dalia schluchzte jetzt hysterisch. Sicher ist sicher – in Notsituationen empfahl es sich, auf minderbemittelt zu machen. Aber seltsamerweise erleichterte sie das Theater. Die Tränen liefen ganz von alleine.
    Die Maurer stieß die angelehnte Tür zu Saitz’ Büro auf, betrat das Zimmer und blieb auf der Stelle stehen. »Aha«, hörte Dalia sie sagen. »Und der ist tot?«
    »Mausetot.« Dalia hätte diesen lieblosen Kommentar gerne zurückgenommen, als sie Johanna Maurers Blick bemerkte. Die Chefin guckte sie schräg von der Seite an und lächelte. Belustigt. Spöttisch. Und ein bißchen – hämisch.
    Dann nahm sie Dalia wieder beim Ellenbogen und marschierte aus dem Zimmer, durch den Gang, in den Lichthof, wo die anderen warteten. »Alles mitkommen«, schnauzte die Maurer. Wie eine Herde von koreanischen Touristen stolperten sie der Chefin hinterher die Treppe hinunter, zum Empfang.
    »Seien Sie so gut, Milan, und rufen Sie die Polizei.«
    Milan griff erschrocken zum Telefon und wählte. »Ob er was?« Er horchte, hielt dann die Hand über den Hörer und sah die Maurer an. »Ob ein Fremdverschulden vorliegt, fragen die.«
    »Woher soll ich das wissen? Die sollen wen schicken«, sagte Johanna Maurer und ließ sich auf die Couch der Besuchersitzgruppe sinken, während die anderen um sie herumstanden.
    »Ob wir die Polizei brauchen oder einen Notarzt?«
    »Egal. Sollen schicken, wen sie haben«, antwortete die Maurer generös.
    Zwanzig Minuten später stürmte ein junger Kerl mit zerzausten Haaren in Jeans und Lederjacke durch die Eingangstür. Er knallte zur Begrüßung seine Aktentasche auf die Empfangstheke und sagte zu Milan: »Ich habe die ganze Nacht Betrunkene und Drogenabhängige zusammengeflickt, eben reicht’s mir!« Milan zuckte mit den Schultern und deutete auf Johanna Maurer, die schon aufgestanden war und den Notarzt bittersüß anlächelte. »Siggi Leitner«, sagte der Zerzauste, lächelte gequält zurück und folgte Johanna Maurer in den ersten Stock. Nach zehn Minuten waren beide wieder unten.
    »Keine Ahnung, woran der Mann gestorben ist. Also kann ich auch keinen natürlichen Tod bescheinigen.« Der Notarzt legte ein bekritzeltes Formular auf die Empfangstheke. »Rufen Sie die Polizei! Die faulen Säcke können ruhig mal was tun.«
    Wieder hieß es warten. Es ging Dalia auf die Nerven, in der Lobby herumzustehen und den anderen Frauen beim Lamentieren zuzuhören, als ob es einen engen Angehörigen getroffen hätte. Endlich rückte die Polizei an. Ein breitschultriger blonder Stoppelkopf und eine ziemlich hübsche Frau in Grün gingen nach oben, kamen ebenfalls ziemlich schnell wieder herunter und nahmen die Personalien der Anwesenden auf.
    Marija stellte sich an, als ob die beiden sie ausweisen wollten, Gül verstummte völlig, Johanna Maurer mußte dolmetschen.
    Dabei schienen die beiden Polizisten nur an Dalia ernsthaftes Interesse zu haben. Es passierte wahrscheinlich selten, daß rund um eine Leiche herum so gründlich geputzt worden war. Dalia beschloß, einfach weiterzuweinen, was ihr überhaupt nicht schwer fiel, wenn auch aus anderen Gründen als denen, über die sie sich vor den Bullen ausheulte: Sie hatte einen schweren Beruf. Mußte dauernd an ihre kranke Mutter denken. Kam mit dem Geld nicht zurecht. Guckte nicht richtig hin, sah immer nur das Stückchen Leben, das sie gerade putzte und wienerte. Du winselst, dachte sie irgendwann mit Befriedigung. Sie kriegen gleich
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