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Santiago, Santiago

Santiago, Santiago

Titel: Santiago, Santiago
Autoren: Hans Aebli
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Wir gehen auf der Asche und den schwarzen Steinbrocken, die der Vulkan vor Zeiten ausgespien hat. Rings am Horizont wie Zuckerhüte die alten Vulkanschlote, die das Zentralmassiv in lockeren Ketten durchziehen. Sie rauchen nicht mehr, sind längst erloschen.
Das Sträßchen schlängelt sich durch Weiden und Getreidefelder. Wir folgen ihm ohne Anstrengung, fühlen uns frisch und voller Zuversicht. Unser Lebensgefühl ist dasjenige fröhlicher Wanderer. Im Vordergrund steht noch die Neugier: Wo sind wir?
Welche Eindrücke hält die neue Welt für uns bereit? Wir versuchen, uns für sie offenzuhalten.
In einem Steinbruch blüht eine hohe Königskerze. Wie ich in ihn eintrete, flattert ein Rebhuhn aus einem versteckten Nest. Auch ich erschrecke, stehe still und ziehe mich vorsichtig auf unseren Weg zurück.
Wir kommen zu einem ersten Dorf. Der Weg führt an seinem Rande vorbei, dort, wo die Ebene in ein kleines Tal abfällt. Terrassengärten sind hier angelegt, und alte Stützmauern halten die Häuser. Diese dösen noch in der Stille des Sonntagmorgens. Ihre Mauern sind aus altersgrauem Naturstein, die Fenster so klein wie Schießscharten. Ein erstes Mal überkommt uns das deutliche Gefühl, einem uralten Pfad zu folgen, dem Weg der Jakobspilger.
Die Hochebene steigt ganz allmählich gegen die tausend Meter. Sie beginnt sich zugleich zu bewegen. Aber sie ist noch waldlos und kahl, nur von einigen Hecken durchzogen. Große runde Granitbrocken liegen am Wegrand. Dazwischen blüht Thymian, ein erstes Zeichen des Südens. Dann treten wir in ein kleines Tal. Hohe Brombeerstauden hängen über uns, und die Bäume sind mit Schlingpflanzen überwachsen. Wir gehen für eine Weile in ihrem Schatten und tauchen dann in ein Dorf auf. Wieder die alten Häuser aus grauem Granit. Es sind großzügige, breite Bauten mit römischen Ziegeldächern.
Dann wieder das Hochland. Seine Farben sind nun lebhafter geworden, denn die Sonne ist durchgebrochen. Nach etwa vier Stunden nähern wir uns dem Dorf Montbonnet. Es ist warm geworden, und die Straße zieht sich lang am Berge hin. Uns beginnt der Durst zu plagen, darum wenden wir uns an eine Gruppe von Männern, die diskutierend unter einem Baume stehen. Ich frage sie, ob es hier ein Café gebe. Aber sicher gebe es das, wir sollen nur weitergehen, werden es oben an der Hauptstraße schon sehen.
So ist es. Das Lokal ist kühl, die Läden heruntergelassen, es herrscht Halbdunkel im Raum. Kein Wirt. Doch nein, da fährt ein Traktor in den Hof, und der Wirt steigt ab. Der kleine Mann im Überkleid ist Bauer. Sein Café betreibt er nebenher. Er entspricht ganz und gar nicht unserem Bild vom französischen Wirt, ist eher scheu und wortkarg, aber freundlich. Es gibt wohl auch eine Wirtin, doch sie hat heute scheinbar anderes zu tun. Der Patron stellt uns das Mineralwasser auf die Theke. Man holt es sich da selber.
Gemütlich ist der Ort nicht. Ein französisches Paar in moderner Wanderkleidung ist inzwischen eingetroffen. Wir wüßten gerne, ob sie auch auf dem Jakobsweg gehen. Doch die beiden sind mit sich selbst beschäftigt und wollen nichts von uns wissen.
- So lebt wohl, Wanderer.
Der Weg steigt jetzt durch blühende Sommerwiesen gegen einen Höhenzug auf. Oben mündet er in einen lichten Föhrenwald. Da herrscht ein Wechselspiel von Licht und Schatten, und ein leichter Paßwind erfrischt die Luft. Unsere Schritte federn auf dem weichen Nadelteppich.
Wie sich der Weg zu senken beginnt und wir aus dem Wald heraustreten, blicken wir zum ersten Mal weit nach Südwesten. Im Tal vor uns fließt wohl der Allier, wir sehen nicht auf den Grund. Jenseits dehnen sich blaue Hügelketten, so weit das Auge reicht. Sie verlieren sich in dunstiger Ferne. Dorthin werden wir wandern, weit nach Frankreich hinein.
Vorerst geht es jedoch durch Weiden abwärts. Blühende Holunderbüsche säumen den Weg, voll vom Summen der Insekten und vom Duft der Dolden. Sie heben sich als weiße Tupfer vom Grün der Blätter ab. Man müßte Zeit haben, sie zu malen. Aber das erforderte eine andere Lebensform als diejenige des Wanderers.
Dann das Dorf Le Chier, kein schöner Name. Doch seine Bauernhöfe sind großzügig angelegt, Höfe von Viehzüchtern. Der Dorfbrunnen ist etwa 25 Meter lang, groß genug, um mächtige Herden zu tränken.
Das Tal des Allier zeichnet sich nun deutlicher ab. Es ist als tiefer Graben zwischen der Ebene des Velay und des Gévaudan eingegraben. Da müssen wir morgen hinüber. Vorderhand steigen wir am
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