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Rette mich vor dir

Rette mich vor dir

Titel: Rette mich vor dir
Autoren: Tahereh H. Mafi
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1
    Vielleicht ist die Welt heute ein pralles Spiegelei.
    Vielleicht tropft der große gelbe Ball in die Wolken, verläuft am leuchtend blauen Himmel, der kalte Hoffnung verheißt und heuchlerische Versprechen von schönen Erinnerungen macht, von wahren Familien, herzhaftem Frühstück, Bergen von Pancakes, triefend vor Ahornsirup, in einer Welt, die es nicht mehr gibt.
    Doch vielleicht ist es auch ganz anders.
    Vielleicht ist es heute düster und nasskalt, vielleicht weht ein scharfer Wind, der erwachsenen Männern die Haut von den Knöcheln schneidet. Vielleicht schneit es. Oder es regnet. Ich weiß nicht, ob das Wasser gefriert, ob es hagelt, ob ein Hurrikan zu einem Tornado wird und die Erde bebt und aufbricht, um Platz zu schaffen für all unsere Vergehen.
    Ich habe nicht die geringste Ahnung.
    Ich kann durch kein Fenster mehr blicken. Ich kann nicht nach draußen schauen. Mein Blut ist so kalt wie Eis, und ich bin 15 Meter tief unter der Erde begraben, in einem Trainingsraum, der seit einiger Zeit mein zweites Zuhause ist. Tagtäglich starre ich auf diese 4 Wände und sage mir Ich bin nicht gefangen Ich bin nicht gefangen Ich bin nicht gefangen . Doch manchmal zerkratzen die alten Ängste meine Haut, und ich werde das Grauen nicht los, das mir an die Gurgel geht.
    Ich habe so viel versprochen, als ich hier eintraf.
    Jetzt bin ich nicht mehr so sicher. Jetzt bin ich voller Unruhe. Jetzt ist mein Geist ein Verräter, denn meine Gedanken erwachen jeden Morgen mit panischem Blick und schweißnassen Händen und nervösem Kichern, das in meiner Brust hockt, das hervorbrechen will, und der Druck wird schlimmer und schlimmer und schlimmer
    Das Leben hier ist nicht, wie ich es erwartet hatte.
    Meine neue Welt ist in Waffenstahl geritzt, mit Silber versiegelt, durchtränkt vom Geruch nach Stein und Metall. Die Luft ist eisig, die Matten am Boden sind orangefarben; die Lichter und Schalter piepsen und flackern, elektronisch und elektrisch, neongrell. Hier herrscht immer Unruhe – viele Körper, Flüstern und Schreie in den Fluren, hastige Schritte, nachdenkliche Schritte. Wenn ich angestrengt lausche, dann höre ich, wie Gehirne arbeiten, wie Stirnen sich in Falten legen, wie Finger an Kinne und Lippen und Nasen tippen. Ideen werden herumgetragen in Taschen, Gedanken auf jeder Zungenspitze präsentiert; Augen verengen sich konzentriert, man macht Pläne, die mich interessieren sollten.
    Doch nichts funktioniert, meine Einzelteile sind kaputt.
    Ich soll meine Energie aktivieren, sagte Castle. Unser beider Gabe ist Energie. Die Materie wird niemals geschaffen oder zerstört, sagte er zu mir, und wenn sich die Welt wandelt, wandelt sich auch die Energie. Unsere Fähigkeiten entstammen dem Universum, anderer Materie, anderer Energie. Wir sind nicht abnormal. Wir sind unvermeidliche Ergebnisse der perversen Manipulationen unserer Erde. Unsere Energie hat einen Ursprung, sagte er. Und ist auch in dem Chaos um uns her enthalten.
    Das leuchtet ein. Ich weiß noch, wie die Welt aussah, als ich sie hinter mir ließ.
    Ich erinnere mich an den wütenden Himmel und die Sonne, die allabendlich unter dem Mond zusammenbrach. Ich erinnere mich an die aufgeplatzte Erde und die struppigen Sträucher und das einstige Grün, das zu Braun geworden war. Ich denke an das Wasser, das wir nicht mehr trinken können, und die Vögel, die nicht mehr fliegen, und unsere Kultur, die nur noch aus ein paar Baracken auf verwüstetem Land besteht.
    Der Planet ist ein gebrochener Knochen, der nicht mehr heilen kann, zersplittert in tausend Bruchstücke, die man verklebt hat. Wir sind zerstört und rekonstruiert worden, bekommen tagtäglich zu hören, dass wir so funktionieren sollen wie früher. Doch das ist eine Lüge, alles ist eine Lüge; jeder Mensch jeder Ort jedes Ding jede Idee ist eine Lüge.
    Ich funktioniere nicht richtig.
    Ich bin nur das Ergebnis einer Katastrophe.
    2 Wochen sind am Straßenrand kollabiert, verlassen und schon vergessen worden. 2 Wochen bin ich hier, und seit 2 Wochen kampiere ich auf einem Bett aus Eierschalen und frage mich, wann etwas zerbrechen wird, wann ich etwas zerbrechen werde, wann alles auseinanderbrechen wird. Nach 2 Wochen hätte ich glücklicher und gesünder sein sollen, hätte ich besser und tiefer schlafen sollen in dieser sicheren Umgebung. Doch ich frage mich voller Sorge, was geschehen wird, wenn falls ich versage, falls ich nicht richtig trainiere, falls ich absichtlich versehentlich jemanden verletze.
    Wir
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