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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci
Autoren: Andreas Maier
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diesem Augenblick ganz wie eine Frau fühlte und sich vornahm, später einmal, wenn sie ein Kind hatte, genau so zu sein wie diese drei.
    Kurz vor der Demonstration machte Maja noch einen Spaziergang mit Nils. Maja war froh, wieder allein mit ihrem Freund zu sein. Wenn sie ohne die Meurers waren, war Nils anders. Das Geschwätz vorhin hätten sie sich wirklich sparen können! Und Pöhland machte sich mit seiner dauernden Frauenfeindlichkeit selbst zum Opfer. Das machte er gern. Jetzt war sie froh, unter freiem Himmel zu sein. Endlich begann sie wieder, den Tag zu genießen. Auf dem Spaziergang kam es ihr vor, als würde die Zeit stillstehen. Einmal kamen sie an einem Schrebergarten vorbei, in dem drei Schafe grasten. Maja mußte wieder an die Reigenfrauen denken, es war ein ähnlich friedliches Bild. Links und rechts Hecken und Blumen, ein paar Spalierbäume, und mittendrin, versonnen und nichtstuend, die Schafe, die bloß fraßen und da waren. In diesem Moment flog ein Militärjet ziemlich tief über die Stadt. Die Schafsfamilie blieb mucksmäuschenstill stehen und lauschte dem Gedonner, von dem sie nicht ahnte, woher es kam. Dann verzog sich der Donner, und nach einiger Zeit begannen die Schafe wieder, sich zu bewegen.
    Es war nun gegen ein Uhr. An einer abgelegenen Stelle am Jungfernsee zogen sich Maja und Nils aus, badeten, küßten und liebten sich, das ging ganz schnell und war sehr stürmisch, und doch kam es ihr später so vor, als hätten sie eine halbe Ewigkeit am See verbracht. Sie waren allerdings nicht länger als eine halbe Stunde dort im Schilf gewesen.
    Nun war Maja überglücklich und schwebte durch den Rest des Tages. Alles führte bei ihr zu einem Rausch, wie man ihn nur empfinden kann, wenn man sich mit allem in völliger Übereinstimmung befindet. Sie, Maja, kam sich von der Welt gemeint vor wie schon von der Sonne am frühen Morgen. Vielleicht sollte es so etwas werden wie der schönste Tag in ihrem Leben. Und die Antigarnisonkirchendemonstration gehörte unbedingt dazu.
    Auf dem Rückweg zum Luisenplatz, wo sie zum Demonstrationszug dazustoßen wollten, begegneten sie dem rothaarigen Bulgaren. Sag mal, weißt du, wer das ist, fragte Maja ihren Freund. Er stand neulich mal vor dem Atelier. Hm, er habe ihn auch schon mal gesehen, sagte Nils, legte seinen Arm um sie und küßte sie auf die Wange. Ihr schien, als werde Nils von Minute zu Minute schöner. Er verkehrt immer am Grünen Gitter, sagte sie. Er: Wahrscheinlich geht er spazieren. Er spaziert vielleicht nach Sanssouci. Der Park ist ja auch sehr schön zu dieser Jahreszeit.
    Grigorij Natchev stand in einem Hauseingang in der Hegelallee, atmete schwer und sah aus, als müsse er jeden Moment sterben. Er machte den Eindruck, als würde er im nächsten Augenblick in den Himmel oder, weitauswahrscheinlicher, in die Hölle fahren, als stehe er unmittelbar vor dem Jüngsten Gericht, dessen Urteilsvollstreckung er noch im selben Augenblick erwarte. Wäre er nicht vom Halbdunkel des Hauseingangs verdeckt gewesen, hätte Maja diesen Zustand gesehen und wäre erschrocken. So ging sie mit Nils weiter und dachte über den kuriosen Roten nicht weiter nach, der für sie zum Stadtbild dazugehörte wie ein pittoreskes Detail.
    Als sie auf die Schopenhauerstraße zuliefen, sahen sie einige Polizeiwagen im Schrittempo in die Hegelallee einbiegen, daneben Polizisten in voller Montur. Der Demonstrationszug marschierte bereits. Es kamen drei Pferde ins Bild, die Polizeireiter wandten sich rückwärts und beobachteten, was hinter ihnen geschah. Jetzt kamen die Demonstranten um die Ecke gebogen, links und rechts eingerahmt von einem Kordon Beamter. Da, schau, sagte Maja, das ist doch lächerlich, sie tragen alle volle Schutzmontur! Wozu? Was erwarten die hier? Das ist doch eine reine Provokation, oder? Sie lief freudig auf den Zug zu … Vorneweg einige schwarzgekleidete Personen mit bunten Kappen, Jugendliche in T-Shirts, mit Tüchern, Rasseln, einer mit einer Trommel. Sie wirkten entschlossen, ein wenig aggressiv, aber auch so, als hätten sie gerade sehr viel Spaß. Dann kam eine Reihe Demonstranten ins Bild, die ein langes Banner vor sich hertrugen. Gegen Garnisonkirche und Faschismus stand darauf.
    Der Demonstrationszug ging gemessenen Schrittes weiter. Hinter den Antifaschismus-/Antigarnisonkirchenbannerträgern kam der bürgerliche Teil des Zuges. Maja erkannte einige Kunden der Wenkschen Buchhandlung,Lehrer, einen Weinstubenbesitzer, den Theaterdirektor.
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