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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai
Autoren: Die Fremde
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bewältigte er außergewöhnlich langsam,
Minuten mochten bereits vergangen sein, seit er sich von der Portiersloge
entfernt hatte, doch das Phänomen war immer noch von Dauer – auch Erinnerungen
waren darin enthalten, fruchtloses Herumlaufen in fremden Städten,
Hotelkorridoren, dieser oder jener Frau hinterher, die sich nicht umblickt oder
deren Rocksaum noch zu sehen ist, vom Lift aus, den noch ihr süßes, sahniges
Parfum erfüllt, weil sie ihn erst soeben verlassen hat. Doch auch das Erinnerungshafte
dieses Moments gehörte, persönlich, zu dieser fremden Frau.
    Während er
mit dem Schlüssel im Schloß der Zimmertür stocherte, langsamer und
ungeschickter als nötig,
horchte er in den obersten Stock hinauf. Jetzt rutscht der Schlüssel ab und
bleibt stecken, denkt er neugierig, auch daran erinnere ich mich, ich muß
waagrecht damit herumprobieren, nur so ist die Tür zu öffnen. Das Schloß
knackte leise, und er lächelte befriedigt.
    Alles
wiederholte sich genau so, wie es die Umstände mit einer Art sachlicher
Gesetzmäßigkeit verlangten. Doch in diesem Moment meldete sich erneut der
heftige krampfartige Schmerz, der ihn schon in der Telephonzelle überfallen
hatte, ein völlig unbekannter Schmerz, an einem unbestimmbaren Punkt des
Körpers, irgendwo zwischen Magen und Herz –
Schlag, Krampf oder Zuckung, er wußte nicht, wie er es nennen sollte, es war
so stark, daß er mit
dem Oberkörper, der sich plötzlich zusammenkrümmte,
fast auf die Klinke gefallen wäre.
    Infolgedessen ging die Tür von selbst auf.
Ein paar Sekunden hielt er die Klinke reglos umklammert; dann
richtete er sich mit einem leisen Stöhnen auf, trat ins Zimmer und schloß rasch
die Tür ab.
    »Nein, doch
nicht aus Ostrau«, sagte der Porzellanfabrikant. »Ich kenn ihn doch. Ist wohl
’n Advokatenfritze!«
    »Der Herr
ist aus München gekommen«, sagte der Portier. Und er nahm, als hätte er dem
Porzellanfabrikanten gegenüber keine besonderen Pflichten, hinter seiner
Theke Platz. Nach einer Weile bemerkte der Fabrikant nachdenklich:
    »Ein
Reichsdeutscher also? Heißt wohl Karl? Ich kenn ihn doch.«
    »Viktor
Henrik«, beendete der Portier die Unterhaltung und beugte sich über das
Gästebuch. »Viktor Henrik Askenasi. Wohnhaft in Paris.«
    »Ach,
Paris«, sagte der Porzellanfabrikant abschließend.
    Die
Betonung, mit der er die Bemerkung hinwarf, ließ den Portier im unklaren, ob er
die Information mit Freude und Zuversicht oder Enttäuschung und Zurückhaltung
aufgenommen hatte.

»Lächerlich.
Wegen einer Frau ...«
    Askenasi – Viktor Henrik, wie der Portier
ergänzt hatte – trat in sein Zimmer, verschloß die Tür und blieb kurze Zeit
reglos auf der Schwelle stehen. Schließlich sagte er halblaut: »Lächerlich.
Wegen einer Frau ...?«
    Gleich
nachdem seine Worte verklungen waren, blickte er nervös um sich und lauschte,
ob ihn irgendwer gehört hatte. Die Trennwände des Argentina waren
dünn, wie sich in der vergangenen Nacht gezeigt hatte.
    Er trat zum
Fenster und schloß die Läden. Auf dem Fensterbrett lag sein ausgewrungener
Badeanzug, Meerwasser war zu Boden getropft und hatte eine Pfütze gebildet.
Die Stirn gegen die Spalten der Fensterläden gedrückt, lugte er zum Meer hinaus.
Wieso denn lächerlich? dachte er jetzt. Wegen einer Frau? Manchmal hatte Eliz,
wenn sie Angst hatte, frech und provokant gesagt: Ich bin nur eine Frau ... Als
würde jemand sagen: Das ist nur der Niagara.
    Hier vom
Obergeschoß aus war bereits das ganze Halbrund der Bucht zu sehen: die
schwarz-grüne Insel gegenüber, deren Umrisse sich als dunkle Zeichnung scharf
vom grauen Hintergrund des Meeres abhoben, und das englische Ausflugsschiff mit den
drei Schornsteinen, das in der Nacht in der Bucht vor Anker gegangen war. Seit
dem Morgengrauen brachten zwei weiße Motorboote unablässig Touristen an Land,
die von weißgekleideten Offizieren in Gruppen durch die engen Gäßchen der
Stadt gelotst wurden. Ein kleiner dicker Schiffsoffizier, Askenasi hatte ihn
bereits am Morgen mit Hilfe seines Fernrohrs gründlich kennengelernt, half
gerade drei Damen in grauen Kleidern und mit Florentinern auf dem Kopf vom
Fallreep ins Boot.
    Die leben,
dachte er. Und gleich darauf, hoffend und mit hartnäckigem Gerechtigkeitssinn:
Aber zweifellos leiden auch sie. Seine schmerzliche Lage hinderte ihn nicht,
das kompakte, makellos weiße Schiff mit Wohlgefallen zu betrachten: Am Heck,
oberhalb der Kabinenfenster, trug es drei goldene Sterne, am Mast
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