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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai
Autoren: Die Fremde
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Müßiggängers auf die Landstraße hinaus, wo der heiße Wind weiße Staubwolken
vor sich hertrieb.
    Der Fremde
und der Portier blätterten in Fahrplänen und Prospekten, ihre Bewegungen
wirken wie einstudiert, ganz und gar nicht »natürlich« – der Fremde mit einem
zu Hotelfoyers passenden weltmännischen Gebaren, das auf Kinoerinnerungen
zurückzugehen schien.
    »Es gäbe da
ein Schiff«, sagte der Portier vertraulich und mit enthusiastischer
Handbewegung, als wollte er eine unziemliche Bekanntschaft vermitteln, sein
Mund verzog sich zu einem Grinsen, die Pferdezähne entblößten sich, doch seine
Stirn blieb umwölkt. »Ein Schiff, das in gewissem Sinne Eigentum des Hauses
ist. Die Kumanovo. Ein Luxusschiff ... das schönste Schiff dieser
Gewässer«, setzt er
mit einer plötzlichen Gefühlsaufwallung hinzu, als hätte er sich zu einem
sinnlichen Geständnis entschlossen. Seine Stimme klang geradezu
leidenschaftlich. Der Fremde starrte mit gerunzelten Brauen und verdrießlicher
Miene vor sich hin. »Kumanovo?« wiederholte er. »Ja, dieses schmale ...« Er
verstummte, griff sich mit einer zögernden, fast kindlichen Bewegung nervös an
den Mund. Was haben die hier alle mit der Kumanovo ? Der Steward, der
Lohndiener, der barman , die Stubenmädchen, alle hatten die »Kumanovo« genannt,
»das« Schiff, als er sich am Ankunftstag nach Wasserfahrzeugen erkundigte, die
ihn nach Cattaro bringen konnten, und alle protestierten lautstark, aufgeregt
und gekränkt, als er sie aufs Geratewohl um Auskunft über andere Verkehrsmittel
ersuchte.
    Die Kumanovo war ein schmales, schlingerndes Schiff und unterschied sich, wie er später
feststellen sollte, überhaupt nicht von den Dampfern, die entlang der Küste
verkehrten. Der Luxus bestand lediglich aus zwei Palmen im Salon. Schließlich
gab er dem Terror des Personals nach und wählte für den Ausflug nach Cattaro
tatsächlich besagtes Schiff.
    Später
bereute er seine Nachgiebigkeit bitter, denn bei der abendlichen Heimfahrt aus
Cattaro wurde er an Bord des stark schwankenden Schiffes seekrank. Die Kumanovo schien die fixe Idee der Einheimischen zu sein. Zwanzig Jahre nach dem
Stapellauf war das einstige Vergnügungsschiff des Besitzers des Argentina in
den Augen des Personals
und der Küstenbevölkerung immer noch der Inbegriff von Luxus, Seefahrt und
jeder irdischen Schönheit überhaupt. Er blinzelte verlegen. »Leider«, sagte er
mit einer abwehrenden Bewegung, um den empfindlichen Portier zu schonen, der
kritische Bemerkungen über den schlanken Götzen nicht vertragen hätte. »Sie
müssen wissen ... Kurzum, ich muß morgen abend in Spalato sein«, entschloß er
sich. Leise setzten sie ihre Verhandlungen fort.
    Die
aschblonde Dame schlenderte gelangweilt zwei Runden durch die Empfangshalle. In
ihrer libellenhaften
Blutlosigkeit und raschelnden Fleischarmut ging sie anspruchslos und doch mit
einer Art passiver Zudringlichkeit auf und ab.
    Im ersten
Stock hörte man Türen schlagen. Wie an allen Orten, wo sich untätige und
ausgeruhte Menschen
nach einem üppigen Mittagsmahl hinter verschlossenen Türen der Verdauung und
der Intimität
partnerschaftlicher Zweisamkeit hingeben, herrschte in der Stunde der Siesta
auch hier eine unverhohlene und schamlose Atmosphäre der Körperlichkeit.
    » Kumanovo hin, Kumanovo her«, sagte der fremde Herr schließlich und winkte
ab. »Den Schlüssel bitte. Um sieben Uhr zwanzig in der Früh. Den
Schlafwagenplatz besorge ich mir selbst in der Stadt.« Er nahm den Schlüssel
entgegen und ging zur Treppe.
    »Zwoundvierzig«,
sagte die aschblonde Frau in diesem Augenblick sehr laut. Der Portier lüftete seine Mütze
und reichte ihr den Schlüssel des Zimmers Nummer zweiundvierzig. Als hätte sie
einen Entschluß gefaßt, machte sie ihrer zudringlichen Stummheit und
raschelnden Unauffälligkeit ein Ende und sagte die Zimmernummer mit einer
Betonung, als würde sie nach reiflicher Überlegung eine Erklärung abgeben.
Infolge der Mitteilung hielt nicht nur der Fremde auf der untersten Treppenstufe
inne, auch der Porzellanfabrikant wandte sich ihr zu.
    Ganz
offensichtlich war etwas geschehen. Der Portier betrachtete diskret die Decke,
mit der Aufmerksamkeit des Fachmanns. Ohne irgendwen zu beachten, ging die
Frau an dem fremden Herrn vorüber, mit ruhigen und gleichmäßigen Schritten, in
gerader Haltung, den Kopf zurückgeworfen; ihre grotesk dünnen Beine nahmen die
Stufen mit Leichtigkeit, so wie ein aus fragilen Gliedern
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